Irgendwann ist der schmale Teerweg zu Ende. Dahinter geht es ein paar Meter über ein Feld, durch dessen zartgrüne Halme die Schatten der Rotorblätter eines Windrades flitzen an diesem sonnigen Herbstnachmittag. Ein paar Schritte die Böschung hinunter zu den Schienen. Den Einschnitt säumt auf jeder Seite ein Feld voll meterhoher Steinpyramiden. Schattig und still ist es hier unten. Doch so still war es nicht immer. Wir sind da, wo für Aachen der Zweite Weltkrieg endete.
Der Schotter klickt unter den Schritten, Züge fahren hier nicht mehr. Ein Stück weiter, neben dem Gleis: der Bunker. Ein „Gruppenunterstand ohne Kampfraum“, Teil des Westwalls, Hitlers letzter Auffanglinie, auf deutschem Boden schon. Mit ein paar Kubikmetern Stahlbeton wollte das untergehende Dritte Reich die heranwalzenden alliierten Armeen aufhalten.
Europa ist voll von solchen grauen Grüßen aus Deutschland. Dieser hatte die Aufgabe, die Bahnlinie nach Holland zu sichern. Doch allzu lange gekämpft wurde hier an der Westkante nicht: Schon im Oktober 1944 war für Aachen alles vorbei und der Alptraum vorüber. Im Rest des Reiches dagegen starben noch mehr als ein halbes Jahr lang die Menschen zu Hunderttausenden, weil der größte Führer aller Zeiten die Zeichen ebenjener nicht erkennen wollte.
Im Inneren ist es stockfinster. Nur ein, zwei Lichtstrahlen dringen durch Ritzen im geborstenen Beton.
So unbedeutend dieses Überbleibsel der Geschichte heute auch wirken mag, es war offenbar wichtig genug, um nach Ende der Kampfhandlungen in die Unbrauchbarkeit gesprengt zu werden. Die Wucht der Explosion im Inneren hob die meterdicke Decke hoch und ließ die Außenwände auseinanderbrechen.
Das Gewicht der herunterstürzenden Decke hat die Wände teilweise niedergerissen. Was noch an Innenraum geblieben ist, wird durch die Betontrümmer auf dem Boden zum niedrigen Höhlenlabyrinth. Die Füße ertasten sich einen Weg über die Geröllhügel, während der Kopf den Brocken ausweicht, die an den abgerissenen Stahlstangen von der Decke hängen. Deren leuchtendes Rostrot ist das einzig Farbige in all diesem Grau und Schwarz.
Halt, es gibt doch noch ein paar andere bunte Tupfer. Vereinzelter Abfall der Moderne beweist, dass im Lauf der Jahrzehnte noch andere Neugierige den Weg in diese Kaverne gefunden haben. Hier eine Bierdose, da eine Tube – was ist das, Gleitcreme? Im Taschenlampenlicht entziffern die Augen mühsam Worte auf Niederländisch. Papierleim. Warum auch immer.
Keine Schautafel erklärt dem Besucher die Geschichte des Baus. Was hier passiert sein mag vor fast 70 Jahren, bleibt offen.
Der Verfall ist fast zu atmen. Für die Ewigkeit wurde nicht gebaut im Tausendjährigen Reich. Doch vom Grauen, von der Angst, die die hier ausharrenden Soldaten empfunden haben müssen, ist nichts mehr zu spüren. Der Bunker ist nur noch Baudenkmal. Der Lichtfleck der Taschenlampe gleitet über unzählige Schnaken, die sich an den Wänden niedergelassen haben. Was die Nazis errichtet haben, erobert nun die Natur.
Das große Morden, mit dem der Bau dieses militärischen Objekts verbunden war, ist zur Geschichte eines anderen Jahrhunderts geworden. Heute geistert nur noch ein kleiner Tod durch die Ruine.
Es ist kalt. Schaudernd klettert der Besucher aus der Gruft ans Freie. Doch das Frösteln vergeht schnell in der warmen Sonne. Der Schotter knirscht. Kein Blick zurück.
Eine Antwort auf „Vom großen und vom kleinen Tod“