Neues aus Hollywood

„Aaaaaaah“? Nein. Eher eine Art „AaAAAAaauh“ mit nur leicht angedeutetem u im Abgang. Im Englischen wird er mit „Aaauuw“ wiedergegeben. Der Wilhelmsschrei: Jeder kennt ihn, jeder hat ihn schon mal gehört. Sie auch. Wetten?

Der Wilhelmsschrei ist ein Soundeffekt, und zwar der unter Tontechnikern wohl berühmteste. Er klingt so. Die Jungs am Mischpult, vom Rampenlicht ja nicht gerade verwöhnt, machen sich in ihren stillen Kämmerlein einen Spaß draus, ihn in möglichst vielen Filmen unterzubringen.

Zum ersten Mal tauchte er 1951 im Film „Distant Drums“ auf. So sollte ein Mannes kreischen, der von einem Alligator gebissen wird – was ihn allerdings nicht allzusehr mitzunehmen scheint. Wie damals üblich, wurden die Szenen erst nachträglich im Studio vertont. Und wo der schöne Schrei schon mal in der Konserve war, wurde er in den folgenden Jahren immer und immer wieder benutzt, gerne auch mehrmals im selben Film. Seinen Namen bekam er 1953, als im Western „The Charge at Feather River“ eine Nebenfigur namens Wilhelm, vom Indianerpfeil getroffen, unter seiner Verwendung aus dem Sattel plumpste.

Über die Jahrzehnte stieg der Schrei von der klassischen B-Movie-Zutat zum unentbehrlichen Zubehör selbst aufwändig produzierter Kassenschlager auf. Vor allem der Tontechniker Ben Burtt baute ihn als eine Art persönliche Signatur ein, wo er nur konnte. Auf der bis heute 136 Titel umfassenden Wilhelm-Liste stehen Namen wie „Star Wars“, „Star Trek“ und die Parodie „Spaceballs“, diverse Folgen „Indiana Jones“, Bat- und Spider-Man, „Piraten der Karibik“, „Stirb langsam“, „Troja“ und „Das fünfte Element“. Dazu kommt eine hübsche Auswahl an Trickfilmen von den „Simpsons“ über „Toy Story“ und Wallace & Gromit’s „Jagd nach dem Riesenkaninchen“ bis zu „Shrek III“. Quentin Tarantino („Kill Bill“) bestand ebenso ausdrücklich auf dem Schrei wie Peter Jackson („Herr der Ringe“). Besonders hübscher Gag: In „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ stößt ihn jemand aus, der von einem Krokodil gebissen wird. Hollywood liebt Wilhelm, Hollywood schreit Wilhelm. Dass der Schauspieler Leonardo DiCaprio seinen zweiten Vornamen (im Ernst: Wilhelm) bekam, weil er gleich nach seiner Geburt ein entsprechendes Geräusch von sich gab, ist aber nur ein Gerücht.

Trotz des europäischen, ja deutschen Namens, kennt der Wilhelmsschrei keine Landes- oder Rassengrenzen. Schon in „Distant Drums“ dürfen ihn auch Indianer abgeben, wenn sie sich auf den Weg zum Großen Manitou machen. Logisch, dass Reptilien nicht die einzigen Viecher sind, die ihn auslösen: In „Them!“ (1954) entlocken Riesenameisen ihren zweibeinigen Gegenübern das charakteristisch modulierte „aaaáh“. In anderen Filmen dürfen Tiere sogar selbst den Wilhelm geben.

Jetzt wollen Sie ihn bestimmt mal in natura erleben, oder? Gleich mehrere Videos mit entsprechend zusammengeschnittenen Filmszenen kursieren im Netz:

Die Geschichte des Schreis ist unter anderem auf dieser (englischsprachigen) Seite und, sehr ausführlich, in diesem (englischsprachigen) Film erklärt:

Und mindestens eine Rockgruppe hat ihn als Inspiration für ein Stück benutzt:

Ich bin sicher: Wenn Sie sich durch all diese Clips geklickt haben, möchten Sie nur noch schreien. Aaaaaauuuh. Und was Sie heute Abend bis in Ihre Träume verfolgen wird, wissen wir jetzt schon.

(Ach ja: Geschrieen hat ihn 1951 vermutlich der Schauspieler Sheb Wooley.)

Neues aus Birma

free_burma_03Im Web 2.0 weht heute die rote Flagge. Am Donnerstag, 4. Oktober, stellen Blogs in aller Welt rot gefärbte Banner auf ihre Seite: zum Zeichen der Solidarität mit der Demokratiebewegung in Birma.

Hinter der Aktion steht die Bewegung Free Burma*. Wer teilnehmen will, kann sich eines der Banner aus der Grafiksammlung aussuchen oder eines aus der entsprechenden Gruppe beim Bilderdienst flickr. Die große Auswahl beweist die Fantasie der Gestalter.

Burma_Schirm_800free_burma_06Burma_Blume_800Anschließend können Interessierte noch eine Petition auf der Free-Burma-Seite unterschreiben. Wer will, kann das Petitionsformular auch selber auf seiner Seite einbauen:

Free Burma! Petition WidgetName: (required)Email:

Web:

Country:


So bekannte deutsche Blogger wie Felix Schwenzel (wirres.net) und Robert Basic (basic thinking) machen mit, im Pottblog leuchtet es rot und Franziska (franziskript) unterbricht ihre Schweigepause. Dagegen hat sich Udo Vetter (lawblog) gegen den Einbau des Banners entschieden.

Die Banner-Aktion ist nicht die erste digitale Solidaritätskundgebung mit den Menschen in dem asiatischen Land. Selbst im Second Life haben sich schon Avatare zu Ketten zusammengefunden:

Menschenkette_2nd-Life_800Was es bringt? Diktator Than Shwe und seine Mit-Machthaber in Rangun werden wohl nicht allzusehr erschüttert sein über die Flut der roten Karos und sonstigen Banner. Aber sie werden sehen, dass die Welt nicht gleichgültig wegschaut, wenn nachts die Todesschwadrone Mönche jagen.


* Burma, Birma oder Myanmar? Die offizielle Bezeichnung des Landes lautet heute Union Myanmar. Der frühere Name Burma – im Deutschen Birma – stammt noch aus der Zeit, als das Land eine englische Kolonie war. Der Name Myanmar wurde 1989 von der Militärregierung ohne Mitwirkung des Volkes eingeführt und schließt nicht alle der vielen Volksgruppen des Landes ein. Er wird deshalb oft abgelehnt, auch von der bekannten Politikerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi.

Mehr zur interessanten Geschichte dieses Landes, dessen Schrift die vielleicht dekorativste der Welt ist und dessen 4.000 Kilometer langes Eisenbahnnetz an keiner Stelle die Grenze berührt, findet sich wie immer in der Wikipedia.

Neues von der A1

Wissen Sie, was ein Claim ist? Im 19. Jahrhundert war es das Stück Land, das sich die Goldsucher in Kalifornien absteckten (hoffentlich habe ich damit nicht eine Antwort aus unserer Internetrallye Netrace verraten). Verglichen mit den paar Körnchen Edelmetall, die damals aus dem Dreck kalifornischer Flüsse gewaschen wurden, ist heutzutage ein guter Claim erst recht Gold wert. Es ist nämlich ein Werbeslogan. „BMW – Aus Freude am Fahren“ etwa. Mir sind in der vergangenen Woche zwei Claims begegnet, wie sie unterschiedlicher nicht sein können.

Es gibt ja Slogans, die sind wirklich gruselig. Vor allem die gewollt Englischen. „RWE – One Group. Multi Utilities“ ist selbst für Anglistikstudenten nicht in vier Worten zu erklären. „Douglas – come in and find out“ wurde von den meisten Kunden der Duftwasserkette mit „kommen Sie rein und finden Sie wieder raus“ übersetzt. Und die Erfinder des früheren SAT-1-Spruchs „Powered by Emotion“ hat es nicht amüsiert, dass ihr Werk als „Kraft durch Freude“ verstanden wurde.

Zurück nach Aachen. Ob aus meinem Lenkrad je wieder die Kratzspuren herausgehen, die meine Fingernägel letzte Woche hineingefurcht haben? Da kam mir nämlich auf der Jülicher Straße der Lastwagen eines großen heimischen Konfitüreproduzenten entgegen. „Zentis – Viel Frucht. Feel good“ stand drauf.

Ist das noch Denglisch oder einfach nur Deußlich? Auf halbem Weg dieser Panthersatz in die Fremdsprache – wahrlich gewagt. Wenn schon Mehrfruchtquark, warum dann nicht konsequent gemischt: „Feel Frucht. Viel good“?

Es geht auch anders. Es hatte nichts mit dem Erlebnis auf der Jülicher Straße zu tun, dass ich mir den Rest der Woche frei nahm. Freunde in Hamburg und Kiel waren ebenso zu besuchen wie Familie in Oldenburg.

Das Land im Norden mit seinem weiten Himmel und den geraden Horizonten ist bekannt für rauhen Wind. Manchmal müssen sogar die Möwen zu Fuß gehen. Immerhin pustet die ständige steife Brise den Werbeheinis in den Marketingagenturen gelegentlich das Geschwurbel aus dem Kopf. Heraus kommt dann ein Claim wie derjenige der Lloyd-Werft, den ich auf der A1 bei Bremen überholt habe. Hier gibt es nichts, aber auch gar nichts zu verbessern:

512_LloydDrei Worte. Und alles gesagt.

Neues aus Brüssel

Wer in eine neue Stadt zieht (zum Beispiel Aachen), erbt nebenbei auch ein neues Umland. Das zu entdecken ist mindestens so spannend wie die neue Heimatstadt selbst. Wollen wir doch mal gucken, was alles im näheren Umkreis für einen Tagesausflug liegt. Zum Beispiel Brüssel. Das sind ja nur 143 Kilometer. Kein Problem für das Coupé mit é

003_Autobahn

Von Aachen aus führen gleich zwei ungefähr gleich lange Autobahnen nach Brüssel: die nördliche Route durch die Niederlande und die südliche, an Lüttich vorbei. Zu verfehlen ist die belgische Hauptstadt nicht…

Eine Millionenstadt wie Brüssel komplett zu erleben und zu beschreiben, dazu genügt natürlich weder ein Tag noch ein einziger Blogbeitrag. Darum versuchen wir es gar nicht erst, sondern bummeln einfach ein bisschen durch die Straßen der Metropole und lassen die Eindrücke auf uns wirken. Auf der Seite www.ilotsacre.be gibt es übrigens einen hübschen interaktiven Stadtplan mit ausführlichen Beschreibungen und wunderschönen 360-Grad-Panoramafotos.

Unseren Wagen stellen wir in das Parkhaus am Place Charles Rogier/Karel Rogierplein (in Brüssel hat alles zwei Namen) am nordwestlichen Rand der Innenstadt. Von da aus ist alles gut zu Fuß zu erreichen.

159_SheratonDas dahinterliegende Viertel ist mit seinen Glaspalästen und der rechtwinkligen Straßengestaltung beinahe schon amerikanisch. Wir aber wollen ja ein Stück altes Europa entdecken – ein Herzstück sogar – und marschieren über den Stadtring in die entgegengesetzte Richtung: in die Altstadt.

019_PrachtbauVor der Oper kann jeder selbst entscheiden, welcher Baustil harmonischer und zeitloser wirkt.

040_Grote-MarktDie Mitte Belgiens: der Grote Markt oder Grand Place. Links das Rathaus, rechts das Maison du Roi oder Broodhuis, heute Stadtmuseum…

140_Museum-Dach…auf dessen neogotischem Dach ein regelrechter Wald aus Stein wächst.

027_Grote_Markt1Nachdem wir die Atmosphäre des Platzes inhaliert haben, wollen wir doch mal gucken, was es in den Nachbarstraßen zu entdecken gibt.

053_BuergermeisterbartDa wäre zum Beispiel dieser Brunnen. Wie man sieht, wurde einst der Mann mit dem prächtigsten Schnurrbart automatisch Bürgermeister der Stadt. Kaiser Wilhelm der Zweite wäre trotz bekanntermaßen schneidiger Gesichtsfrisur nie in die Endrunde gekommen.

082_Tim-und-StruppiBrüssel gilt als Comic-Hauptstadt. Tim, Struppi und Kapitän Haddock sind nur eins von vielen überlebensgroßen Motiven auf den Hauswänden.

044_GassenDurch verwinkelte Straßen und Gässchen voller Restaurants und kleiner Läden geht es weiter.

088_Manneken-PIsUnd hier, tataa, ist es endlich: Manneken Pis, das Wahrzeichen der Stadt (das klitzekleine Dingsda oben in der Mitte – klicken Sie das Foto an). Nein, größer ist es nicht.

Haben Sie etwa einen zwei Meter großen Riesen erwartet? Ein Tipp: Wenn es Sie mal nach Kopenhagen verschlägt, sparen Sie sich den Besuch bei der kleinen Meerjungfrau…

119_ApothekeSelbst Apotheken sind in Brüssel opulent verzierte Prachtbauten. Aber wir sind ja nicht nur zum Gucken hier. Stimmt es eigentlich, was man sich über die belgische Küche erzählt?

022_EisladenAllmächtiger – es war sogar noch untertrieben…

066_PralinenAllein die Kalorien auf diesem Foto hier haben genug Brennwert, um die Autobahnen des Landes eine Nacht lang zu beleuchten. Diese Bilder sollten Sie nur anklicken, wenn Sie über eiserne Willenskraft verfügen.

060_TablettDa bleibt dem rohen Germanen nichts, als in staunender Ergriffenheit mit offenem Mund vor dem Schaufenster zu stehen. Und dabei möglichst nicht auf’s Pflaster zu tropfen.

Na, standhaft geblieben? Sehr gut, selbst wenn es nur an der, ähm, selbstbewussten Preisgestaltung der hiesigen Chocolatiers lag.

047_PommesDafür haben wir es verdient, uns mit einem anderen Küchenklischee ein wenig zu stärken. In diesem Fall mit Tartar-Sauce drauf. Und ja, die Dinger sind wirklich hervorragend: außen ein wenig kross, innen saftig, aber nicht pappig. Deliziös. Also genau die Sorte Imbiss, wie es ihn in deutschen Fußballstadien niemals geben wird.

107_EiswagenKulinarisch gibt es in Brüssel also alles, was das Herz begehrt. Nur eines gab es so gut wie gar nicht: Youngtimer. Abgesehen von einigen übergebliebenen Golf II beschränkte sich das automobile Erlebnis auf derlei rollende Verkaufsstände…

122_Ford-Escort…diesen wohlgepflegten, wenn auch leicht getunten Ford Escort (natürlich mit Blattfedern an der Hinterachse), sowie insgesamt drei (3!) W123. Eine jämmerliche Quote für eine mit Autos vollgestopfte Metropole.

151_HochhausEs wird Abend. Entsprechend schwer sind die Füße. Also zurück durch die Innenstadt in Richtung Parkhaus.

176_Nachtfahrt

Ein wunderschöner Tag. Eine wunderschöne Stadt. Und eine wunderschöne Rückfahrt, dank der Großzügigkeit unserer Nachbarn in Sachen Autobahnbeleuchtung. Fast ist man stolz, diese stolze Pracht mit den ebenfalls stolzen Preisen für Pommes & Praline mitfinanziert zu haben. Gut anderthalb Stunden später ist man wieder auf der (dunklen) deutschen A 44.

197_BierchenUnd noch etwas später wieder zu Hause. Zeit, den Tag angemessen zu beenden. Auf Brüssels Straßen liegt der Frieden der Nacht. Im Glas des Heimgekehrten herrscht: Kriek.

(Hinweis: Dieser ursprünglich für das AZ/AN-Blog geschriebene Beitrag wurde im Juni 2013 nachträglich mit Material aus einem Artikel auf Moorbraun.twoday.net ergänzt.)

Neues von der Isle of Man

„Was meinst du damit, du verlässt Europa?“ Fassungslos gucke ich meinen Onkel Andy an. Andy, ein Engländer, der seit mehreren Jahren in München lebte, ist auf Abschiedsbesuch in Aachen. Er wechselt Job, Stadt, Land und gleich auch noch Staatsangehörigkeit, um auf der Isle of Man zu arbeiten. Der britischen, aber nicht englischen Isle of Man: Die Insel in der irischen See ist nämlich ein ganz besonderes Fleckchen Erde. Das sogar etwas mit Aachen zu tun hat.

Über die nur 572 Quadratkilometer große Insel weiß man hierzulande eigentlich nur, dass dort die Katzen keine Schwänze haben und auf ihren Straßen alljährlich ein ziemlich mörderliches Motorradrennen namens Tourist Trophy stattfindet.

Was allerdings bei weitem nicht alles ist, was das Eiland an Skurrilitäten zu bieten hat. Die Isle of Man, im dortigen Gälisch-Dialekt Ellan Vannin genannt, gehört nämlich weder zur Europäischen Union, noch zu England. Sie ist direkt der britischen Krone unterstellt, und damit auch kein Teil des United Kingdom oder des Commonwealth. Wer dort einreist, verlässt die EU.

Logischerweise legen die von Wikingern abstammenden rund 76.000 Einwohner – gegenüber ihren 170.000 Schafen in beängstigender Unterzahl – auch Wert auf eine eigene Währung. Die ist zwar 1:1 an das britische Pfund gekoppelt, sieht aber anders aus. Immerhin besteht das dortige Pfund heute nicht mehr aus 280 Pence, von denen 14 einen Shilling bilden. Auf dem 20-Pfund-Schein ist das Laxey Wheel abgebildet, das größte Wasserrad der Welt.

Foto: Wikipedia/Public Domain
Foto: Wikipedia/Public Domain

Dem längsten Drehstromkabel der Welt, das die Insel mit Elektrizität versorgt, ist dagegen unfairerweise keine Banknote gewidmet.

In der Hauptstadt Douglas, malerisch in eine Bucht geschmiegt, tagt das Tynwald, mit mehr als 1.000 Jahren Tätigkeit das älteste ununterbrochen tätige Parlament der Welt. Es verkündet seine Gesetze auf dem Tynwald-Hügel. Das Staatsoberhaupt ist der Lord of Mann und derzeit eine Frau, nämlich Königin Elisabeth II.

Während man auf den rund 500 Kilometer Inselstraßen mangels Tempolimit meist unbeschwert rasen darf, geht es auf den Eisenbahnen geruhsamer zu. Es gibt gleich fünf verschiedene Bahnsysteme: Von Dampf-, Elektro- oder Pferdekraft angetrieben, bewegen sich die Züge auf verschiedenen Spurweiten über die Gleise.

Womit wir bei der Beziehung zu Aachen wären, denn die beschränkt sich nicht auf das rituelle Streuselbrötchen, das Andy zum Frühstück vorgesetzt bekam. Als nämlich Anfang der Siebziger Jahre die ASEAG ihr Straßenbahnnetz auflöste, verkaufte sie die Fahrzeuge in aller Herren Länder (was eine weitaus bessere Verwertungsmethode war, als sie, wie 1944 geschehen, als fahrende Bomben auf feindliche Truppen rollen zu lassen). So erwarb auch die Isle of Man Transport Motoren und Fahrzeugtechnik aus Aachen.

Das hierzulande erstandene Material bauten die sparsamen Insulaner in ihre vorhandenen, bereits damals rund 70 Jahre alten Wagen ein. Spätestens daraus wird deutlich, dass die Insel genauso nah an Schottland wie an England liegt.

Foto: Wikipedia/Public Domain
Foto: Wikipedia/Public Domain

Heute sind die hundertjährigen Manx-Triebwagen die ältesten noch fahrenden Straßenbahnen der Welt. Wer mit ihnen auf den 621 Meter hohen Snaefell-Berg fährt, verdankt es auch Technik aus Aachen.

Komischer Ort, diese Isle of Man. Gestern wusste ich praktisch nichts von ihr. Heute will ich unbedingt mal hin.

Neues aus Hessen

„Willste am Sonntag mit zum Fuppes?“ Wieder so eine Frage, die sich dem Neu-Aachener nicht sofort erschließt. Wer ist Fuppes? Jupp heißt Josef, soviel ist klar, und Tuppes ist man auch schon mal genannt worden. Egal, bloß nichts anmerken lassen. „Klar, warum nicht.“ Später klärt eine wohlmeinende und mit der hiesigen Mundart vertraute Person den Schreiber dieser Zeilen auf, dass Fuppes Fußball heißt und er für eine Fahrt zum Auswärtsspiel der Alemannia shanghait wurde.

Und darum fährt der Tuppes
am Sonntag mit zum Fuppes.

Es ist ja nicht so, dass ich das Treten nach Lederbällen generell verabscheuen würde. In meiner letzten Wahlheimat Bielefeld wurde ich schon mehrmals auf die Alm in die SchücoArena gelockt – originellerweise stets in den Aachener Gästeblock. Beim letzten Mal, es war im Oktober vergangenen Jahres, verließen die angereisten Freunde aus der Kaiserstadt das Spiel allerdings bereits vorzeitig beim Stand von 4:1 für die Gastgeber. Leider nicht vorzeitig genug. Noch in Rufweite des Stadions brandete der Jubel der Westfalen ein fünftes Mal auf. Naja, Schwamm drüber, zweite Liga ist auch was feines.

Nun ist „Wehen“ der Gegner des Tages. Witze über diesen Namen verbietet der Anstand. Was es mit dem Club auf sich hat, ist etwas schwerer zu verstehen als die Bedeutung des Wortes Fuppes. Der SV Wehen ist eigentlich gar nicht Wehen, sondern eher Wiesbaden, spielt aber weder da noch dort, sondern in BankFrankfurt. Verstanden? Macht nichts, ich auch nicht. Wichtig zu wissen ist nur, dass hinter Wehen ein Hersteller von Wasserfiltern steckt. Um den Gegner nicht zu unterstützen, bereite ich am Sonntagmorgen meinen Frühstückskaffee eigens mit ungefiltertem Wasser zu. Schnell noch die kleine Pocketknipse eingesteckt (deshalb die etwas pixelige Bildqualität im folgenden), schon klingelt es an der Tür – auf geht’s!

Navi_084Die Koordinaten des Großraums Frankfurt werden ins Navigationssystem gegeben – sind das viele Autobahnen! – und der Audi dahinter auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigt. Knapp zwei fröhliche Autostunden später rollt ein ebenso fröhliches Quartett auf dem Parkplatz aus.

Dort schwelgen bereits Fans in kühnen Visionen. „Wenn wir 4:0 gewinnen, sind wir Tabellenführer“, hat ein gelbschwarz gekleideter Aachener ausgerechnet. Düsenlärm reißt ihn aus seinen Aufstiegsträumen.

Jet_087In der Nähe scheint ein Flugplatz zu sein. Prima, um so leichter sollte sich nach dem Spiel das Auto wiederfinden lassen: Wir müssen nur nach dieser DC-10 Ausschau halten.

Eingang_089So winzig der gegnerische Verein ist, so imposant ist sein Stadion. Der Name des Hauptsponsors ist mir leider entfallen – vermutlich eine Versicherung.

Langnese_093Der „Langnese Familienblock“. Geschlossen. Was ist trauriger: Dass es in Frankfurt keine Familien oder kein Eis gibt?

Was es dagegen gibt, ist eine kleine Imbussbude. Umgehend wird die lokale Stadionwurst verkostet. Ihre Soßenreste putze ich mir minutenlang mit immer verheerenderem Ergebnis aus dem Gesicht, bis ich merke, dass die untere Spitze der Serviette im Ketchup gehangen hat. Der knorpelige Phosphatschlauch legt nach dem Verzehr den Kreislauf seines Wirtes für längere Zeit weitgehend lahm.

Stadion_103Genauso prall gefüllt ist der Öcher Stehblock. Das Auge des aufmerksamen Betrachters registriert die Bandenwerbung eines Anbieters von „Abrechnungssystemen und Marketingkonzepten für das Taxi-Gewerbe“. Offenbar hofft das Unternehmen auf zahlreiche Taxifahrer unter den Gästen. Wenn das mal nicht trügt, hin und zurück sind es schließich gut 500 Kilometer.

Sodann plärrt aus den Lautsprechern die gegnerische Mannschaftshymne. Der holprige Refrain „Wir sind ein Team! / Esvau Wéhn! Wiesba-déhn!“ klingt dermaßen nach Schülerband, dass die zunächst fassungslos-mitleidig blickenden Nordrhein-Westfalen schnell beginnen, die Pausen im Text hilfreich mit „Aachen! Aachen!“ aufzufüllen.

Doch wo sind die Gastgeber? Blick nach rechts aus dem Fanblock…

Baerchen_100Da tobt der Bär. Ausverkauft geht anders. Später erfahren wir, dass es genau 6.934 Besucher waren. Ohne uns wären es 6.930 gewesen, das ist schon ein Unterschied.

Anpfiff! Mit „Toben“ lässt sich leider auch nicht beschreiben, was in den folgenden 90 Spielminuten auf dem Grün passiert. Die Jungs da unten scheinen ebenfalls bei den Stadionwürstchen zugelangt zu haben. Zum Spiel selbst schreibe ich nichts, das können andere besser.

Anzeige_105Schon 2:0. So war das nicht geplant. Wir verlassen kurz das traurige Geschehen, um uns zu stärken – nein, keine Currywürste mehr, jetzt müssen harte Getränke her. Kaum am Stand angekommen, erzeugt der Jubel der Gastgeber zum 3:0 ein gespenstisches Déjà-vu-Gefühl: Genau so war es letztes Jahr in Bielefeld auch. Was nun: Draußen bleiben? Zurückgehen? Der in dieser Sekunde ertönende Abpfiff gibt die Antwort.

Schild_114Rückfahrt. Der Audi wirft sich mit einer Kraft auf der A3 voran, die der Aachener Sturm so sehr hat vermissen lassen. Schweigen bei den Herren im Wagen, spitze Bemerkungen beim weiblichen Teil der Mitfahrerschaft. „Weißt du eigentlich, gegen wen die Alemannia heute gespielt hat?“ – „Irgend so eine Kartoffelmannschaft, glaub ich.“ – „Die haben sie sicher ordentlich geputzt.“ – „Na klar! Was meinst du, wie sich sonst die ganzen Fans ärgern würden, die da extra mit dem Auto hingefahren sind.“

In zwei Wochen geht es gegen 1860 München. Immerhin kann ich dann vorher wieder mein Kaffeewasser filtern. Aber Currywurst ist tabu.

Neues vom Backblech

Streusel_1920Es ist an der Zeit, eines der besten Backwerke zu feiern (um mal eine bis zur völligen Erschöpfung wiederholte Fernsehwerbung etwas zu variieren). Es geht nicht um hauchzarte Blätterteig-Creationen französischer Herkunft oder, im Gegenteil, von belgischer Edelschokolade überzogene und mit Marzipan gefüllte Leckereien im Gigakalorienbereich.

Nein, die Rede ist vom Streuselbrötchen.

Für den Neu-Aachener kommt der Erstkontakt mit diesem flockigen Fröhlichmacher so sicher wie die Frage, ob man schon mal beim Karneval war. Irgendwann liegt da auf dem Teller so ein runder Geselle, der ein Frühstück mit der soliden Selbstverständlichkeit eines Gullideckels abschließen kann. Wenn er auch etwas – etwas! – leichter im Magen liegt.

Die Methoden, die sich auftürmenden gelben Gebirge zu bezwingen, sind vielfältig. Dem Schreiber dieser Zeilen sind Zeitgenossen bekannt, die die krümelige Köstlichkeit aufgeschnitten mit einer dazwischengeschobenen Scheibe Käse genießen – Verwendung findet meist die Spielart „belegen Gouda“ aus einem westlichen EU-Nachbarstaat. Ich selbst ziehe Honig vor, beziehungsweise schmiere ihn dazwischen.

Während mit Zuckerguss überzogene sogenannte „Streuseltaler“ auch außerhalb des Rheinlands anzutreffen sind, ist die pure Streuselvariante eine hiesige Spezialität. Das Streuselbrötchen verzichtet auf Überzug oder Füllung. Wäre es ein Konzern, würde es in Pressemitteilungen behaupten, sich aufs Kerngeschäft zu konzentrieren.

Aber schauen wir doch mal, ob sich der Streusel auch im Internet angemessen wiederfindet. Auf diversen Marketingseiten über Aachen wird er natürlich erwähnt, auch in etwas, öh, skurrilen Blogbeiträgen taucht er auf. Auf Frauenseiten werden fleißig Rezepte getauscht und Aachener am anderen Ende der Welt (Düsseldorf) versuchen verzweifelt, ihn nachzubacken („Ich bin Streuselbrötchen-süchtig und wohne in der Diaspora„). Soweit, so schön.

Weniger ertragreich ist die Suche in der Wikipedia – ein einziger kleiner Satz im Beitrag zu Aachen ist dort zu finden:

„Weiterhin hervorzuheben ist das nach Angaben der Aachener Nachrichten in Aachen erfundene Streuselbrötchen, ein Weichbrötchen mit Butterflocken, das außerhalb von Aachen kaum bekannt ist.“

Das war’s schon? Was ist mit der dramatischen Entstehungsgeschichte, von den unzähligen Versuchen, Rückschlägen, Triumphen und Tragödien der Streuselschaffenden? Wo sind die Nährwerttabellen, wo die Schnittdiagramme, wo ist die Liste mit Erwähnungen des Streuselbrötchens in Literatur, Kunst und Fernsehen?

Aber gucken wir doch mal bei den Bäckern selbst. Sicher werden diejenigen, in deren Händen die Bewahrung des kulturellen Erbes liegt, die Fahne des gelben Gebrösels hochhalten. Und tatsächlich findet sich zum Beispiel auf einer Seite, die für die Gesellenprüfungen im Bäckerhandwerk vorbereitet, eine Beispielsaufgabe: „Nennen Sie Erzeugnisse, die mit folgenden Füllungen hergestellt werden: Schlagsahne (…)“.

Es ist zwar kaum zu glauben, aber die Antwort soll lauten: Streuselbrötchen. „Wie der Name schon sagt, hat es eine Brötchenform, welche aufgeschnitten ist. Dazwischen ist dieses Plundergebäck mit Sahne und Kirschen gefüllt.“

Erschütternd. Generationen von Jungbäckern werden so in die Irre geführt. Was die Alten erschufen, füllen die Jungen mit Kirschen. Kann denn niemand etwas dagegen tun? Führt dieser Verfall der Zivilisation geradewegs an die Theke des Schnellimbisses? Zum McStreusel XXL-Menü mit Karamellfüllung und draufgestreuten Smarties?

Noch ist Zeit. Noch gibt es Streuselbrötchen, die diesen Namen verdienen. Doch wenn nicht bald etwas geschieht, werden unsere Nachfahren nie den unverfälschten Geschmack von Butterflocken auf Hefeteig zwischen den Zähnen spüren. Ob mit Honig oder Käse dazwischen.

Neues aus der weiten Welt

Ich mag diese Stadt. Klingt albern, aber irgendwann muss es ja mal raus. Was mir als Eingewandertem an Aachen gefällt, ist diese europäische Leichtigkeit, dieser selbstverständliche internationale Hauch, der hier in der Luft liegt. Gut, man kann es damit übertreiben, aber dazu später.

Es gab diesen einen Moment, da ich mich in die Stadt verliebte. Letztes Jahr war’s, wir saßen an einem sonnigen Samstagnachmittag auf den Stufen des Denkmals auf dem Münsterplatz. In der Hand belgischen Reisfladen, im Blick Touristen aus dem fernen Osten und dem nahen Holland, im Ohr den Ungarischen Tanz Nr. 5, virtuos gefiedelt von drei jungen Musikern im Schatten des Doms. Ja, dachte ich. Hier lässt sich’s leben.

Auch heute, ein Jahr später, ist der Duft von weiter Welt noch nicht verflogen. Die neue Heimat, das Ostviertel, ist mit seinem Vielvölkergemisch wie ein quirliger Kiez. Gemeinsam mit Leuten aus aller Herren Länder wartet man in der traditionellen Schlange vor der Eisdiele…

Delzepich…und bummelt dann mit seiner Riesenportion Italien plus Schokostreusel durchs prächtige Frankenberger Viertel. Dort, wo einst zu Wohlstand gekommene Aachener ihren eigenen Weitblick am Hausgiebel in Stein verewigten.

GiebelWen es dann nach Abgeschiedenheit verlangt, der überquert den vierspurigen Adalbertsteinweg mit seinen Afro-Shops, Dönerstuben und Internet-Cafés und setzt den Spaziergang auf dem Ostfriedhof fort. Dort sind die Aachener wieder unter sich. Vom einstigen Wohlstand der hier Liegenden zeugen noch die Engel auf ihren Gräbern.

Engel1Engel2Engel3Gedämpft fällt das Licht durch grünes Laub, gedämpft dringt der Straßenlärm über die Friedhofsmauer. Nichts erinnert an die Welt dort draußen. Nichts, außer dem grün gewandeten Polizisten, der plötzlich vor den Flanierenden steht. Ob man eine verdächtige Person beobachtet habe, fragt er höflich. Männlich, blond, mache sich an den Grabkreuzen zu schaffen.

Die Angesprochenen sehen sich brüsk ins Hier und Jetzt zurückgeholt. Die moderne Version des Grabräubers zupft keine goldenen Skarabäus-Ringe mehr von Mumienhänden. Lara Crofts hiesige Kollegen klauen ganz profanes Schwermetall, von der Blechgießkanne bis zum Kerzenständer, um es an Schrotthändler zu verhökern. Der gewaltige Hunger auf Stahl in Ländern wie China und Indien hat weltweit die Metallpreise in die Höhe getrieben. Und hierzulande machen allerlei üble Gestalten in ihrer Gier auf schnelles Geld nicht einmal vor Gräbern halt.

Da ist sie wieder, die große weite Welt. Der kalte Wind der Globalisierung weht über den Aachener Ostfriedhof. Man geht nach Hause mit der neu gewonnen Erkenntnis, dass manchmal auch etwas weniger Internationalität ganz nett wäre.

Tschätte mit Jido

Chatten kann auch Arbeit sein. Wobei dieser Chat geradezu ein Vergnügen darstellte:

Buchwald_Chat_1787_800Guido Buchwald, Trainer von Alemannia Aachen, ist zu Gast in der Onlineredaktion. Er diktiert, ich tippe, rund 40 Fans der Gelb-Schwarzen stellen Fragen. Der Teamchef stellt sich dabei als nicht nur angenehmer und humorvoller Mensch (der übrigens durchaus auch Hochdeutsch spricht), sondern auch fähiger Fertige-Sätze-Formulierer heraus. So druckreif könnte ich nie sprechen. Da sage noch einer was gegen Fußballer.