Und wenn ich noch tausendmal meine geliebte Laufstrecke durch den Öcher Bösch entlangstapfen sollte, irgendein neues Motiv bietet sich immer. Und sei es in den letzten Sekunden des Abendlichts, das schon hinter der Hügelkuppe verdämmert, während ich am Wegesrand vor der Distel kauert.
Wiederholungstäter
So richtig wahnsinnig ist man ja erst, wenn man zwei Abende hintereinander am selben Brückengeländer kauert. Immerhin: Die Kameraeinstellungen hatte ich diesmal noch drin – so wurden es heute nur anderthalb Stunden.
Macht innerhalb der vergangenen 24 Stunden etwa dreieinhalb, die ich über der A544 verbrachte. Das darf man wohl, um einen Kommentar meines Freundes Peter Behrens aufzugreifen, einen Brückentag nennen.
Brückenglück
Ein stetiger leichter Wind weht über die Hochbrücke, doch obwohl ich in Shorts und T-Shirt rund 13 Meter über dem Asphalt am Geländer stehe, ist mir nicht kalt. Es ist eine Eigenart dieses seltsamen Sommers, dass sich feuchtkalte und schwülwarme Nächte seit Wochen abwechseln. Heute ist Variante zwei dran.
Es ist spät am Abend, in einer halben Stunde ist Mitternacht. Seit fast zwei Stunden ragt das Teleobjektiv der Sony hier in luftiger Höhe über der Autobahn 544 an der Abfahrt Verlautenheide/Würselen in Blickrichtung Aachener Kreuz durch die Streben des Geländers.
Der Verkehr sorgt für ein beständiges Hintergrundrauschen. Wenn ein schweres Fahrzeug unter mir entlangdonnert, geht ein leicht singendes Zischen durch die Konstruktion. Doch mit der Zeit sind die Momente immer öfter und länger geworden, in denen es schon fast still ist und kein Auto weiße oder rote Streifen durch die Fotos zieht, die meine Kamera geduldig eins nach dem anderen auf ihre Speicherkarte sichert. Eine halbe Minute Belichtung, eine halbe Minute Bearbeitung, dann: Betrachtung. Dann der nächste Versuch, mit etwas anderer Perspektive, einer anderen Blende oder einem nachjustierten Fokus. Man muss schon reichlich Geduld mitbringen, um zu dieser Zeit noch mit der Kamera loszuziehen.
Aber es hat auch seinen ganz eigenen Reiz. Keine Seele ist außer mir hier an diesem einsamen Ort – außer den Menschen in den Autos da unten in der Tiefe. Und die Fotografie bei Nacht ist eine Welt für sich. In fast völliger Dunkelheit auf ein Autobahnschild zu fokussieren, ist viel schwerer, als ich es mir vorgestellt hatte. Und dann hätte ich natürlich auch gerne einen Moment im Bild, in dem auf allen vier Blättern des Kleeblattes Fahrzeuge fahren.
Doch das Glück lässt sich nicht zwingen. Die perfekte Halbminute – ein wenig, aber nicht zu viel Verkehr auf sämtlichen sichtbaren Fahrbahnen – gibt es heute nicht. Dann ist es irgendwann Mitternacht; die Autos fahren jetzt nur noch vereinzelt in immer größer werdenden Abständen. Zeit, das Stativ zusammenzuklappen und nach dem Moorbraunen zu suchen, der dort irgendwo in den Schatten auf mich wartet.
Was an Bildern an diesem Abend entsteht, ist – wie könnte es anders sein – nicht perfekt. Macht nichts, der Sommer ist es auch nicht, und er birgt trotzdem Momente echten Glücksgefühls. Manche finden an einem windigen Brückengeländer hoch über der Autobahn 544 statt. Und ein paar weitere warten bestimmt noch darauf, erlebt zu werden.
Von Wanzen und Yetis
Ich kann’s einfach nicht lassen, die Kamera zum Laufen mitzunehmen. Sie liegt einfach so gut in der rechten Hand und wiegt so wenig, jedenfalls mit dem 20-Millimeter-Pancake. Selbst, wenn es schon abenddämmert, irgendein neues Motiv findet sich jedes Mal. Und ich entwickele ich mich langsam zum König der freihändigen Lowlight-Fotografie. Lieber die ISO-Zahl auf 6400 raufdrehen und Rauschen riskieren oder eine Blende weiter aufmachen und Tiefenschärfe verlieren? Hach, das sind alles Entscheidungen.
Und wenn selbst wenn kein neues Motiv über den Weg hüpft, kriecht oder cruised, kann man wenigstens mit einem bekannten nochmal rumexperimentieren.
Mit dem Nachführ-Autofokus zum Beispiel und unterschiedlichen Belichtungszeiten. Wobei ich zugeben muss: So richtig umhauen tut mich das alles nicht, der Skoda Yeti hier gehörte noch zum Besten. Vielleicht klappt es ja besser bei hellerem Licht. Der Autofokus der Nex-6 gilt halt generell als nicht rasend schnell, der Nachfolger Sony Alpha 6000 soll da deutlich Tempo zugelegt haben.
Und dann war da noch der Ausflug in den Elisengarten heute Nachmittag. Eigentlich wollte ich ja auf die rechte Blüte fokussieren. Doch dann fand meine Kamera ein besseres Motiv, als es nach dem vierten Schuss unbemerkt hinter dem obersten Blütenblatt hervorkrabbelte. Wieder was gelernt: Überraschungen bei der nachträglichen Bildbearbeitung am PC sind die schönsten.
Abendstern
„Ein gutes Foto muss wehtun“, zitierte mein Freund Andreas neulich einen Kollegen. Soll heißen: Es darf ruhig schon mal etwas unbequem werden für den Zweibeiner hinterm Dreibein. Muskelschmerzen und Mückenstiche, überlange Wartezeiten auf das geeignete Motiv und dann, wenn es da ist, spontane Panik, weil die Kamera plötzlich doch nicht tut, was sie soll: Gehört alles dazu.
Bei mir gab es heute Abend gleich das komplette Programm: das längliche Warten auf ein geeignetes Kraftfahrzeug, um die Objektverfolgung bewegter Motive auszuprobieren…
…den Mückenstich beim geduldigen bodennahen Begleiten meiner alten Freundin…
…und die Muskelschmerzen beim längeren Knien im Matsch, um den Untermieter dieses Sommerblühers (unteres Blatt rechts) ins Bild zu bekommen.
Und schließlich, als Belohnung beim abschließenden Fotoexperiment mit dem moorbraunen Stern im letzten spätabendlichen Dämmerlicht – siehe Bild ganz oben – noch einmal alles zusammen. Beziehungsweise auf eine gute halbe Stunde verteilt. So dass ich den eingangs zitierten Spruch jetzt ergänzen darf: Manchmal muss ein Foto auch ewig dauern, nervös machen – und jucken.
Nächtliches Wollen, Teil 2
Es hat mir keine Ruhe gelassen. Der wulstige Versuch an der Domschatzkammer in der vergangenen Woche, der am Ende doch nicht ganz befriedigte. Und das Foto vom Brunnen „Kreislauf des Geldes“ bei der Stadtführung für meinen Couchsurfer Fabian, das – obwohl für ein freihändig geschossenes Motiv gar nicht mal ganz schlecht – auch nicht hundertprozentig begeisterte. Und natürlich der Vergleich mit der bildgewaltigen Spitzenkamera Canon EOS 5D III von James, die mit ihrem Zoomobjektiv gezeigt hat, was in der Profiliga geht.
Was geht bei mir?
Weltenentrückt, wie ich derzeit bin, schwang ich mich also um 23.30 Uhr – mein Freund (und ebenfalls EOS-5D-Besitzer) Andreas hatte mir vorher noch einige gute Ratschläge gechattet – nochmal aufs Rad, die Nex, eine Objektivauswahl und das Stativ im Kamerarucksack.
Nachtfotografie ist etwas, das mich seit Teenagerzeiten fasziniert. Die herrlichen Dampflokfotos in Schwarz-Weiß des US-Fotografen O. Winston Link dürften dazu beigetragen haben.
Einer der Vorteile der Sony-Systemkameras ist, dass man sie per WLAN vom Smartphone aus fernsteuern kann. Das hat den Vorteil, dass man das Sucherbild auf dem viel größeren Display des Handys sehen, bewerten und viele Kameraeinstellungen gleich auch dort verändern kann. So lassen sich Fokuspunkt setzen, Blende oder ISO-Wert verändern und schließlich der Auslöser drücken. Angenehmer Nebeneffekt: Hat man das Stativ etwas tiefer eingestellt, ersparrt man sich Nackenstarre und schmerzende Kniegelenke, weil man das Fotografieren weitgehend im Stehen erledigen kann.
Hat die Kamera das Bild dann verarbeitet – was bei einer 30-sekündigen Belichtungszeit, so wie oben, schon mal eine weitere halbe Minute dauern kann, sieht man das fertige Ergebnis gleich auf dem Smartphone. Gefallen Bildausschnitt oder Lichteinfall nicht, oder ist gar ein Auto durchs Foto gefahren und hat Streiflichter quer durchs Motiv gezaubert, kann man es gleich noch ein zweites Mal versuchen.
Okay, von Kunst sind wir hier immer noch weit entfernt. Aber ich bin ziemlich sicher, dass ich den Bettler am Brunnen im Moment nicht wirklich besser hinbekomme.
Vaalser Farben
Kleiner Abendspaziergang in Vaals durch den Garten des Hotels Kasteel Bloemendal und den angrenzenden Park.
A Day at the Races
Woran erkennt man einen guten Fotografen? Sicherlich auch daran, dass er seine Ausrüstung in- und auswendig kennt und beherrscht. Dass er mit instinktiver Sicherheit zu den richtigen Komponenten greift, wenn er zu einem Fototermin aufbricht. Ob Landschaftsbild, ob Sportereignis, ob Straßenfotografie, ob Porträtfoto – für jeden Anlass gibt es bestimmte Objektive, Filter, Zubehörteile. Der Profi kennt sie alle und weiß, was er wann braucht.
Wenn’s danach geht, darf ich mein kiemenbewehrtes Haupt getrost wieder in die fotografische Ursuppe sinken lassen, aus der es gerade versucht hat, sich zu erheben.
Denn als ich mich heute zu einer Einkaufstour in die Stadt aufmachte und dabei für alle Fälle auch die Kameratasche packte, griff ich mit instinktiver Sicherheit zu genau dem Objektiv, das sich für das, was mich und meine Nex-6 erwartete, als am absolut defintiv total ungeeignetsten erweisen würde.
Wie sich herausstellte, fand nämlich in der Innenstadt gerade das Radrennen „Rund um Dom und Altstadt“ statt, als ich mich nichtsahnend durch die immer dichter werdenden Menschenmassen in Richtung Mayersche bewegte.
Und was, frage ich, hatte der Möchtegernprofi für dieses Sportereignis aus dem reichhaltigen Arsenal seiner fotografischen Waffen ausgewählt? Das 18-200-Millimeter-Teleobjektiv, um die rasenden Renner nah heranzuzoomen? Das 20-Millimeter-Weitwinkel, um möglichst viel vom Feld draufzubekommen? Oder die 32-Millimeter-Festbrennweite mit der tollen Bildqualität? Selbst das schlichte 16-50-Millimeter-Kitobjektiv wäre noch ein halbwegs brauchbares, da flexibles Werkzeug gewesen.
Alles, aber nicht das SEL-30M35 F3,5/30mm Makroobjektiv. Genau, die Linse für Bienchen- und Blümchenbilder. Fürs Hummelhaare und Pollenpuder, für die ganz nahen Nahaufnahmen. Ich hatte halt eher damit gerechnet, dass mir im Elisengarten irgendein farbenfrohes Krabbel- und Grünzeug vor die Linse fleuchen würde. Jetzt stand ich da wie jemand, der zum Schneeschaufeln gerufen wurde und mit einem Bügeleisen erscheint. Das kannn man wohl nennen: Voll am Motiv vorbeifokussiert.
Allerdings: Farbenfroh war das angebotene Event ja schon. Und die schon reichlich überbelichtete Erkenntnis, dass die beste Kamera die ist, die man dabei hat, erstreckt sich zweifellos auch auf Objektive. Und es ist ja nicht so, dass Sonys 30er-Makro bei allem, das mehr als einen halben Meter entfernt ist, kurzsichtig blinzelt wie ein halbblinder Professor. Es kann auch „richtig“ fotografieren – nur halt nicht besonders brillant. Und natürlich nur mit dem starren Bildausschnitt seiner 30 Millimeter Brennweite. Da ist nichts mit Telezoom oder Superweitwinkel – fotografieren wie zu Opas Zeiten halt, mit der klassischen Reporterbrennweite.
Also: Alles zusammengekratzt, was wir über ultrakurze Verschlusszeiten, Objektverfolgung, Serienbildaufnahmen, Hintergrundunschärfe und Perspektive jemals vergessen haben…
…und todesmutig ranfokussiert ans Motiv!
Das Gute am Radrennen ist, das wurde schnell klar: Hat man den Schuss versemmelt, kommt das Motiv drei Minuten später nochmal vorbei. Und dann nochmal und nochmal –
– und das Ganze jedesmal netterweise auch noch etwas langsamer als vorher.
Bewahrheitet hat sich an diesem schönen Samstagnachmittag noch eine andere Erkenntnis, die ich in meiner geballten Altersweisheit gerne jungen Einsteigern in die journalistische Laufbahn mit auf den steinigen Weg gebe. Bitte mitschreiben: Das Geheimnis eines guten Fotos ist, dass es noch 19 schlechtere vom selben Motiv gibt.
Dass hier nämlich überhaupt halbwegs vorzeigbare Bilder auf dieser Seite zu sehen sind, ist in erster Linie einem Ausstattungsmerkmal meiner Kamera zu verdanken, das ich heute zum ersten Mal an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gebracht habe: der Serienbildfunktion.
Erstaunlich, welche Datenmengen so eine SD-Speicherkarte schluckt, wenn man den Auslöser einfach mal längere Zeit durchgedrückt hält: Stolze 862 Fotos mit rund 4,5 Gigabyte Datenvolumen musste der Chip an diesem Tag beim Rennen verdauen – das entspricht in etwa einem soliden einwöchigen Urlaub am Mittelmeer. Dafür aber steht am Ende jeder Motivreihe ungefähr ein Bild, bei dem die rasenden Radler halbwegs an einer brauchbaren Stelle im Bildausschnitt parken.
Des Tages Ausbeute: diese 15 Fotos (sowie natürlich jeweils 19 schlechtere Varianten vom selben Motiv plus gewaltige Mengen Ausschuss). Auf der anderen Seite: Für ein Bienchen-und-Blümchen-Objektiv sind 15 Sportfotos eigentlich gar nicht mal sooo schlecht. Anscheinend lässt sich auch mit einem Bügeleisen Schnee schaufeln – irgendwie.
Und wieder und wieder
Eins ist mal sicher: Sollte es mich dereinst mit Herzkasper oder sonstwas aus den Latschen hauen – wenn das letzte, das meine Augen in diesem Leben sehen, der Matsch meiner geliebten Laufstrecke im Öcher Bösch ist, werde ich mich nicht allzu laut beklagen.
Nächtliches Wollen
Das derzeitige Bemühen des Verfassers dieser Zeilen um, nun, fotografische Meriten führte am späten heutigen Abend dazu, dass eine Reihe von Passanten auf der nächtlichen Johannes-Paul-II-Straße irritierte Seitenblicke auf den Herrn warfen, der da vor dem Papeterieladen in komischer Haltung neben einem Fahrrad kniete. Was macht der da? Hynotisiert der seinen Gepäckträger?
Nein, der gute Mann hatte nur kein Stativ dabei, aber ein Motiv gefunden. Was also tut der eifrige Amateur? Er improvisiert mit dem, was er hat. Die Kameratasche als Beanbag auf dem Träger, darunter Zweirad statt Dreibein – und schon sind auch zehn Sekunden Belichtungszeit machbar.
Und wenn man diese Konstruktion etwa eine halbe Stunde lang auf dem Kopfsteinpflaster hin- und herträgt, kommt am Ende etwas heraus, das man glatt in einem Blog herzeigen könnte. Wären nicht die Straßenlampen so überhell geraten und hätte nicht der Mond so seltsame Ghosting-Effekte erzeugt.
Kunst kommt von Können, schrieb ein in Vergessenheit geratener Autor Ende des 19. Jahrhunderts, käme sie von Wollen, hieße sie Wulst. Es werden noch viele Fahrräder über viele Pflastersteine getragen werden müssen, ehe auf dieser Webseite so etwas wie Kunst zu sehen sein wird. Bis dahin begnügt euch bitte mit dieser wulstigen Aufnahme vom Dom bei Nacht. Und damit gute selbige.