Februar 2001. Ganze zweimal bin ich in die Luft gekommen, seit ich im Dezember 1999 den Schein gemacht habe. Das soll jetzt anders werden, und zwar richtig. Zwei Katanas müssen zur Überholung von Denver in das Herstellerwerk im kanadischen London gebracht werden. Natürlich nicht im Container. Es sind ziemlich genau 2000 Kilometer, die da zu fliegen sind – einmal halb durch die USA. Der Clou: Es sind keine braven europäischen DA20 mit 80-PS-Rotaxen unter der Haube. Es sind C-1 Evolutions mit 125-PS-Continental IO-240.
Zusammen mit Holger fliege ich über den Teich. Schon beim Zwischenaufenthalt in Paris steigt die Fliegerstimmung: Die Architektur des Terminals am Aéroport Paris-Charles-de-Gaulle ist spektakulär. Die sanft gewölbte Betonhalle krümmt sich wie ein Flügel, der Grundriss wirkt wie ein Vogel. Das können sie, die Franzosen. Das hat Weltniveau. Daneben wirkt der nüchtern-rechteckige Klotz von Münster-Osnabrück so architektonisch mutig wie ein Ziegelstein.
In Kanada herrscht tiefster Winter. Doch auch die heftigen klimatischen Verhältnisse sind keine Entschuldigung, ein so grauenhaft hässliches Auto wie den Pontiac Aztec zu kaufen. Tröstlich ist nur die Aussicht, dass er auf den intensiv mit Salz gestreuten Straßen nicht lange überleben wird.
Als der Wetterbericht besser wird, nehmen Peter, Holger und ich einen Linienflieger nach Denver. Das liegt ziemlich weit im Westen, in Colorado, am Fuß der Rocky Mountains. Gibt leckere Chicken Wings mit Honey Mustard Sauce dort.
Am nächsten Morgen. Nach einer kurzen Einweisung am Denver Centennial Airport (KAPA) – wegen seiner Höhenlage auch „Mile High Airport“ genannt – machen sich zwei Katanas auf den Luftweg nach Osten.
Formation fliegen macht Spaß. Da wir auf der selben Frequenz funken, ist enges Zusammenfliegen kein Problem und ich schieße Fotos am laufenden Band. Zuhause wird die Enttäuschung dann groß sein: Die Kamera hat sich bei 90 Prozent der Aufnahmen auf das Glas der Haube eingestellt. Die Bilder sind fast alle völlig unscharf.
Wenigstens ein paar Motive werden brauchbar. Wenn ich mir auch bei diesem hier im Kinnbereich durchaus etwas Unschärfe gewünscht hätte.
Nachdem die anfängliche Nervosität weg ist, macht der Flug richtig Spaß.
Die Gegend ist allerdings eher eintönig. Staaten wie Kansas, Nebraska, Missouri und Iowa heißen nicht ohne Grund „Flyover States“. Nach dem erstem Leg – knapp zweieinhalb Stunden – bringe ich unseren Zweisitzer in Kearney Municipal, Illinois (KEAR) heil auf die Piste.
Zweites Leg: In genau drei Stunden nach Moline-Quad City (KMLI), ebenfalls in Illinois.
Im Abendlicht der untergehenden Sonne haben wir ausgiebig Gelegenheit, mit unseren Einmots herumzuspielen. Die vergoldeten Wolken bieten einen spektakulären Anblick. Leider sind auch aus dieser Fotoserie fast alle Bilder misslungen.
Wir übernachten in Moline und entdecken ein Restaurant mit überaus mittelprächtiger US-italienischer Küche (Nudeln, Tomatensoße und Unmengen von Käse) zu überaus heftigen Preisen.
Am nächsten Morgen gibt es Startprobleme. Unsere Katana springt gleich an, die von Peter dagegen zickt. Orgeln mit Choke, ohne Choke, mit Gas, ohne Gas… bis die Batterie leer ist.
Gelegenheit, sich auf dem Airport ein bisschen umzugucken. Die Lounge verströmt mondäne Atmosphäre. Hier fühlt man sich als Pilot gleich ernstgenommen…
…jedenfalls, wenn man so etwas fliegen würde. Illustre Gesellschaft auf dem Vorfeld.
Wir aber sind ja etwas bescheidener unterwegs. Inzwischen ist der Starthilfewagen da und der Continental nimmt endlich seine Arbeit auf. Wir starten. Das erste Leg des zweiten Tages führt nach Fort Wayne International (KFWA) an der Grenze zwischen Indiana und Ohio.
Ein Fluss unterbricht die eintönige Quadratestruktur der Landschaft.
Der Eriesee. Zum ersten Mal überquere ich ein größeres Gewässer. Auch wenn wir nicht viele Meilen ab vom Ufer sind, ist es ein merkwürdiges Gefühl: Jetzt ist man dem Vierzylinder-Boxermotor da vorne völlig ausgeliefert. Wie wird sich da erst Charles Lindbergh gefühlt haben?
Das Ufer ist wirklich, wirklich weit weg. Die Dinger heißen ja nicht ohne Grund „Great Lakes“.
Das Ostufer – oder sagt man Ostküste? Die seltsam Marmorierungen des Bodens an der Uferzone können wir uns nicht erklären. Möglicherweise ist es Watt bei Ebbe.
Nach dem Überqueren der kanadischen Grenze gehen wir tiefer und folgen einem Flusslauf. Plötzlich knallt es, Federn fliegen um’s Cockpit. Birdstrike! Der Motor läuft weiter – nichts passiert! Der Vogel wird dazu natürlich eine andere Meinung gehabt haben.
Je weiter wir nach Nordosten kommen, desto mehr Schnee liegt am Boden. Wir gehen in den Landeanflug auf London International. Welcher Pilot träumt nicht davon, einmal in London zu landen? Sprechen Sie den Stadtnamen englisch aus, dann klingt es noch schöner.
Nach dem Ausrollen. Während Peter die Zollformalitäten erledigt, fotografieren Holger und ich uns gegenseitig vor unserer Spirit of St. Louis.
So sieht also ein Birdstrike aus. Willkommen in Kanada!
Dieses Schild vor dem Flughafengebäude richtet sich nicht an Päpste, die nach der Landung den Boden liebkosen wollen (Alitalia fliegt ohnehin nicht nach Ontario). Das schöne Denkmal für amerikanischen Pragmatismus steht vor dem Eingang: Da man die Leute eh nicht davon abhalten kann, ihre Liebsten mitsamt den Koffern bis vor die Tür zu fahren, kann man sie wenigstens bitten, das Abschiedszeremoniell kurz zu halten.
Direkt am Platz: die Fabrik von Diamond Aircraft. Im Zweiten Weltkrieg wurden hier De Havilland Mosquitos gebaut, nun entstehen hier schicke kleine Einmots.
London, Ontario, ist eine quirlige Stadt mit einer ausgesprochenen Vorliebe für Wandgemälde. Dieses hier an der Rockwater-Brauerei ist nur ein Beispiel. Ansonsten ähnelt für mich alles stark den USA. Bis auf die Straßennamen natürlich: Eine King-George-Street wäre in den Vereinigten Staaten eher ungewöhnlich.
Wir schauen uns eine der berühmtesten Sehenswürdigkeiten Amerikas an: die Niagarafälle. Fast 60 Meter stürzt das Wasser hier in die Tiefe. Es gibt einen kanadischen und einen US-amerikanischen Teil.
Na, sind Sie auch so enttäuscht wie ich? Von der Uferpromenade aus wirkt das ganze Schauspiel, wie soll ich sagen: ein wenig überschätzt. Dabei wird uns hier sogar noch der imposantere Anblick gegönnt. Nachts und außerhalb der Tourismussaison wird der Wasserfall nämlich auf bis zu zehn Prozent seiner Fallmenge heruntergefahren und der Rest zur Stromerzeugung genutzt.
Nein, das wahre Wunder hat an dieser Stelle nicht Gott geschaffen, sondern ein anderer: der Mensch! Dreht man sich nämlich um, präsentiert sich eine gewaltige glitzernde Phalanx an majestätischen Hotels. Reih an Reih ragen die imposanten Luxusbauten viele Stockwerke in den Himmel empor. Sogar für überdachte Fußwege ist gesorgt, während man am Wasserfall sehr kundenunfreundlich mit Gischt besprüht wird. Da kann sich das alte Mütterchen Natur noch etwas abgucken. Ein klares 1:0 für den Menschen!
Lassen wir das verunstaltete Naturwunder hinter uns. Von London aus sind es keine 200 Kilometer bis in die Metropole Toronto, mit 2,5 Millionen Einwohnern die größte Stadt Kanadas. Mitten im Bild der 553 Meter hohe CN Tower. Nein, nicht CNN. Die CN sind die Canadian National Railways. Was ein staatliches Eisenbahnunternehmen bewogen hat, 1976 das höchste Gebäude der Welt bauen zu lassen, ist mir immer noch unklar. Hoffentlich hört unser Bahnchef Mehdorn nichts davon…
Das Drehrestaurant in 346 Meter Höhe hat Glasböden und bietet einen Blick auf Downtown – ziemlich genau auf Platzrundenhöhe.
Wenn man nicht wüsstse, dass man sich im guten alten britischen Commonwealth aufhielte, könnte man glatt glauben, man wäre in den USA.
Die multifunktionale Sportarena SkyDome (seit 2005: Rogers Centre). Torontos Antwort auf das Olympiastadion des Erzrivalen Montreal.
Außerdem kann man sich vom CN Tower aus auch wunderbar die Platzgestaltung des Toronto City Centre Airports (CYTZ) einprägen, ohne tatsächlich in der Luft zu sein. Ungewöhnlich, einen Flughafen aus dieser Perspektive zu sehen und dabei mit beiden Füßen auf dem Boden zu stehen.
Das also war Kanada. Ein bisschen abgelegen, aber durchaus eine Reise wert.