Ein großer Vorteil gegenüber dem Joggen: Man kann mal für ein Foto stoppen, ohne gleich in heftige Gewissensverwindungen wegen des sinkenden Pulses zu verfallen.
Ansonsten ist es ein brauchbarer Ersatz. Jahrelang war ich durch den Öcher Bosch gejoggt – bis das Ziepen im Knie so fies wurde, dass ich mich unters MRT legte (nein: hinein). Und man mir einen Knorpel diagnostizierte, oder so ähnlich. Danach war’s Essig mit dem Joggen. Nun also Walking. Wenn man den verletzten Stolz beim Grüßen entgegentrabender Läufer herunterschluckt, macht es durchaus Spaß. Und zum Eschweiler Stadtwald kann man sogar zu Fuß gehen. Nein, Verzeihung: walken.
Das Geschenk
Doch lieber etwas näher an die Säule ran? Oder lieber an die Bahnsteigkante? Soll noch ein Stück des weißen Empfangsgebäudes links hinten zu sehen sein?
Es ist gegen halb neun Uhr am Montagabend, ich stehe auf Bahnsteig 1 des Eschweiler Hauptbahnhofs und bin zufrieden. Der Tag liegt hinter mir, die C-Klasse habe ich gerade in der Indestadt beim Schrauber abgegeben, jetzt warte ich nur noch auf eine Regionalbahn, die mich zurück nach Aachen-Rothe Erde schaukeln wird. Ob sie in einer Minute kommt oder erst in fünfzehn, was macht das schon. Endlich habe ich Ruhe, der Rest des Abends gehört allein mir. Die Wartezeit am Bahnsteig ist geschenkte Lebenszeit. Und so ein Geschenk darf man denn auch einfach mal annehmen, darum habe ich auch gar nicht groß auf den Abfahrtsplan geschaut. Es kommt eh alle halbe Stunde etwas Passendes vorbei.
Blende ganz aufreißen bis 2.8 und cremiger Hintergrund? Oder lieber ganz schließen bis auf 16 und dafür durchgängig Schärfe im Bild?
So ein menschenleerer Bahnhof schreit ja geradezu nach einem Stimmungsfoto. Etwas trist, ja – aber auch wunderbar kontemplativ. Diese Stille, dieser Dornröschenschlaf, nur alle halbe Stunde unterbrochen für die wenigen Minuten, in denen hier Betrieb herrscht. Dann der Abfahrtpfiff – und wieder Ruhe.
Das kleine Zeitgeschenk lässt sich wunderbar nutzen, um ein bisschen mit der Kamera – diesmal ist das flache 20-Millimeter-Pancake drauf – herumzuspielen. Belichtungskorrektur, Weißabgleich und Verschlusszeit schon so einzustellen, dass ich mich gleich ganz auf den einfahrenden Zug konzentrieren kann. Den Standort und den Winkel wählen. Ich denke, ich mache eine Serienaufnahme und entscheide mich dann später zu Hause beim Sortieren der Bilder für das, auf dem die Lok an der richtige Stelle steht.
So langsam könnte allerdings mal etwas kommen. Seit 20.28 Uhr eigentlich, um genau zu sein. Das ist jetzt schon vier Minuten her. Verspätungsanzeigen gibt es hier ebensowenig wie den guten alten Bahnhofsvorsteher mit Kelle und Trillerpfeife. Es gibt nur mich.
Und eine böse Ahnung. Die sich beim Studieren der Aushänge im Fahrplanschaukasten bestätigt: Von Juni bis August verkehren in Eschweiler-Hauptbahnhof keine Züge. Gleisbauarbeiten. Dunkel steigt die Erinnerung an die Berichterstattung in der eigenen Zeitung hoch. Ach ja, da war was…
Zum Glück ist es nicht ganz so weit bis zum Haltepunkt Eschweiler-West der Euregiobahn. Eine knappe halbe Stunde und einen strammen Fußmarsch später – es hat inzwischen angefangen zu nieseln – kommt denn tatsächlich endlich ein Triebwagen angerollt. So ersehnt sein Anblick denn auch sein mag: Fotografisch ist er bar jeden Reizes.
Ich bitte um Nachsicht, Ihr Lieben, dass ich euch das perfekte Foto einer in abendlicher Stimmung in den Eschweiler Hauptbahnhof einfahrenden Regionalbahn wohl noch etwas schuldig bleiben werde. Das Zeitgeschenk war mir denn doch ein bisschen zu groß.