Donnerstag, 2. Oktober 2008. Da sich in der näheren und weiteren Umgebung des Pont du Gard keine Herberge anbietet, ich außerdem so langsam den Drang in die Heimat verspüre (am Montagmorgen muss ich schließlich wieder in der Redaktion schwitzen), entscheide ich mich für Lyon. In der Riesenstadt gibt es gleich zwei Jugendherbergen, da wird schon irgendetwas frei sein. Allerdings sind es stolze 200 Kilometer bis nach da oben. Egal – adieu, Mittelmeer. Jetzt geht es nach Norden, das Rhônetal hoch.
Viel bekomme ich von der schönen Landschaft allerdings nicht mehr zu sehen. Als ich ein paar Stunden später nach ziemlich scharfem Ritt (die Freewind dankt es mit zügellosem Verbrauch) in der Stadt ankomme, ist es längst dunkel. Die erste Jugendherberge ist geschlossen, wie mir die Mitarbeiter der zweiten erklären. Die wiederum ist bei meiner Ankunft schon voll. Man verweist mich an ein Hotel in der Rue Vaubecourt – 45 Euro soll das Zimmer kosten. Was hilft’s.
Aber wo steckt die Bleibe? Das Navi bekommt in den engen Straßen keine Verbindung. Die Rue Vaubecourt kennt auch niemand (man spricht es „Wubkurt“ aus, erklärt mir schließlich ein englisch radebrechender Einheimischer). In mittlerweile strömendem Regen quartiere ich mich ein. Während die nassen Klamotten trocknen, gucke ich etwas fern, zum zweiten Mal in diesem Jahr: Deutsches Unterschicht-TV, in dem eine Art männliche Sozial-Nanny die von Mann und Kindern permanent gedemütigte Frau und Mutter einer Problemfamilie auf unfassbare Weise, nun ja, demütigt. Oh, wär ich doch am Mittelmeer geblieben, wo es sonnig, warm und nett war und nirgendwo Super-RTL lief.
(Das mehrminütige Gruselerlebnis ist übrigens Schuld daran, dass sich mein TV-Konsum 2008 auf diese Sendung, die Übertragung der Ordensverleihung wider den tierischen Ernst im Januar sowie eine Doku über die „Lustiania“-Versenkung im Dezember beschränken werden. Was definitiv zwei Sendungen zuviel waren.)
Freitag, 3. Oktober 2008. Am nächsten Morgen sieht die Welt schon viel freundlicher aus. Ich mache dem Portier zum Abschied noch eine kleine Szene, weil laut Zettel an meiner Zimmertür das Kämmerchen nur 35 Euro hätte kosten dürfen. Klugerweise warte ich mit der Szene bis nach dem Frühstück, dessen Bezahlung ich dankend ablehne. Dann stürze ich mich ins Stadtleben.
Ein prima Startpunkt für eine Lyon-Erkundung ist die Basilika Notre-Dame de Fourvière auf dem Fourvière-Hügel. Ein absolut bombastisches, neo-byzantinisches Monster von 1896. Wir Aachener gucken ja etwas säuerlich, wenn eine gerade mal über hundert Jahre alte Kirche genauso zum Weltkulturerbe gehören soll wie unser tausend Jahre älterer Dom. Klickt die Bilder ruhig an – wozu hab ich mir schließlich die Mühe gemacht, sie mit den Großversionen auf Flickr (Pro-Account!) zu verknüpfen?
„Ist uns egal, was es kostet“, haben die Stadtväter dem Architekten eingeimpft. „Nur teuer muss es aussehen. Richtig teuer.“
Wir überlassen das prestigeträchtige Glaubenssymbol sich selbst und gehen ein Stück weiter den Hügel hinunter…
…wo andere Architekten vor etwas längerer Zeit ein doppeltes Amphitheater in den Hang gebaut haben. Eine Art römisches Multiplexkino. Für mich deutlich spannendender. Hier haben die Lyoner (die damals noch Lugdunumer hießen) vor zweitausend Jahren gesessen und Stars zugejubelt, deren Namen längst vergessen sind. Nur die Sitzreihen von damals sind noch da. Und werden heute immerhin für Open-Air-Konzerte genutzt.
Direkt daran schließt sich das Gallo-römische Museum an, das in den Berg hinein gebuddelt worden ist und einige ziemlich beeindruckende Mosaike und Statuen hat. Wer auf Römergedöns steht, ist in Lyon genau richtig. Mit dem zweifachen Cineplexx ist es übrigens nicht getan – etwas weiter liegt noch ein drittes Amphitheater. Man hatte es ja. Damals genau so wie 1896.
Mitten durch die Stadt fließen die Rhône – hier im Bild – und wenige Meter daneben die Saône. Soviel zur berühmten französischen Inkreativität in Sachen geografischer Namensgebung (ich sage nur: Zentralmassiv. Max Goldt meinte, einst müsse wohl die DDR für die Benennung französischer Gebirge zuständig gewesen sein).
Doch die Stadt selber ist wirklich schön. Einen Tag lang bummele ich durch die Gassen der Altstadt (ein weiteres Weltkulturerbe, man hat’s ja) und klettere zum Arbeiterviertel Croix-Rousse hoch. Rechts im Blick Sacre-Coer und Eiffelturm Basilika und Funkturm.
Mein Versuch, das kulinarische Zentrum Frankreichs – Lyon nennt sich selbst die „Gaumenstadt“ – zu erobern, scheitert an den immensen Preisvorstellungen der hiesigen Gastronomie. Wir erinnern uns: Oktober 2008 war noch vor der Krise. Frustriert bestelle ich in einem Bistro das einzig zumindest ansatzweise frankophile Bier im Sortiment – ein belgisches Duvel. Für den frugalen 0,3-Liter-Trunk berappt man dem tumben Touri aus den sumpfigen Nordlanden 7,80 Euro, schade, dass es die Preußen 1871 nicht doch noch ein paar Kilometer weiter geschafft haben. Vielleicht hätten sie ja wie einige Jahre später in Tsingtao eine ordentliche Brauerei dagelassen. Der kurzfristige Aufenthalt der Türken vor Wien hat sich auf die europäische Frühstückskultur ja auch ganz segensreich ausgewirkt.
So wie dieser zur Abwechslung mal ganz schön fußläufige Tag mit einer kleinen Abzocke begonnen hat, geht er also auch zu Ende. Die Freewind erholt sich derweil vor der Jugendherberge, wo ich zumindest für die zweite Nacht noch ein Zimmer ergattert habe.
Gleichheit unter Rollern – klickt das Bild an und lest die Beschriftung: Egalité! Frankreich, Frankreich.
Morgen, Samstag, geht’s weiter nach Norden. Mal sehen, wie weit ich komme.