Tierisches Glück

Hundi war nicht glücklich. Schon als ich mein Fahrrad neben dem Eingang des Hirsch-Centers in den Ständer parkte, neben dem man ihn angebunden hatte, warf der kaum vierzig Zentimeterchen hohe Miniaturwuschel abwechselnd erbarmungswürdige Blicke um sich und den Kopf in den Nacken, um ein „auuuuuuuuh“ in den Aachener Abendhimmel zu heulen, wie es Loriots Wum seligen Angedenkens nicht trauriger hinbekommen hätte.

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Als ich eine Viertelstunde später, bestückt mit Brot, Badeschwamm und Putensalami, wieder aus dem Einkaufszentrum gestiefelt kam, war ich etwas überrascht, das so lauthals einsame Tierchen immer noch dort sitzen zu sehen.

Eigentlich geht einen sowas ja gar nichts an.

Andererseits ist es aber auch kein schlechtes Motto, das eine oder andere Wesen, dem man auf seinem Weg durchs Leben begegnet, glücklicher zurückzulassen als zuvor. Und wie oft hat man schon einen Satz Putensalamischeiben in der Fahrradtasche dabei?

Doch das Leben kann sehr hart sein zu Taschenhunden. Da hatte arm klein Wauzi so lange gelitten – und just als der fremde Mann die Wurstpackung aufgenestelt hatte, kam Frauchen samt Freundin zurück. Ausgerechnet!

Doch auch wenn sich das Hundi jetzt ebenso lauthals wie wedelschwänzelnd freute, seine Leinenträger wieder zurückzuhaben – sollte man für so viel Wartezeit und Einsamkeit nicht auch wenigstens eine winzige materielle Entschädigung bekommen dürfen?

Frauchen nickte lachend. Und Hundi schaffte es, gleichzeitig am Bein seiner Zweibeinerin auf- und abzuspringen, zu bellen und mit einem Schnauzenhapps die sich von oben nähernde Salamischeibe aus meinen Fingern zu schnappen.

Während ich dem geräuschvoll von dannen ziehenden Trio nachschaute, bildete ich mir ein, Hundis Schwänzchen hätte glatt nochmal an Drehzahl zugelegt. Auch in einem Hundeleben gibt es halt Tage, da darf man einfach mal tierisches Glück haben.

Lichtspieltheater

Eine Sache muss einem von vornherein egal sein, wenn man mit einem fürs Gewicht untergroßen Körper ausgestattet ist und an diesem Umstand etwas ändern möchte: Wie man beim Trainieren aussieht. Sport macht man halt nicht, um dabei eine gute Figur abzugeben, sondern davon um eine zu bekommen. Ob da etwas schwabbelt, hängt oder hüpft, hat einem gleichgültig zu sein, sonst bleibt man auf ewig in den Klauen von Schwerkraft und Statik gefangen.

Dies selbstbewusst in den Raum gestellt habend, muss ich einräumen, bei körperlicher Betätigung schon einige Male ein reichlich komisches Bild abgegeben zu haben. An jenem späten Winterabend auf der Finnbahn Königshügel etwa, als es so dermaßen kalt zu schneeregnen anfing, dass ich nach Runde zwei kurz am Auto stoppen und mir den Taschenschirm aus der Beifahrertür holen musste. An diesem Abend habe ich die Sportart Schirmlauf erfunden. Gesehen haben es gottseidank nur wenige und von mir erfährt es keiner.

Auch damals, beim Hermannslauf 2006, als ich wohl als einziger Teilnehmer ein Handy dabei hatte und so bei Kilometer 30 der Bodencrew das nahende Ende der überlangen Wartezeit ankündigen konnte, haben die neben mir Keuchenden etwas zu Grinsen gehabt.

Zur Zeit ist es die Kamera, die mich aus der anonymen Menge der Waldläufer abhebt. Sonys Nex-6 spielt ihren Vorteil, so viel kleiner und leichter als eine Spiegelreflexkamera zu sein, nämlich erst dann voll aus, wenn man sie mit zum Joggen nimmt. Das geht tatsächlich.

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Es hilft also nichts, Ihr Lieben. Wir müssen nochmal in den Wald.

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Das Abendlicht ist nämlich heute einfach zu schön.

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Das glitzert im Laub, das spielt im Moos, das leuchtet im Farn.

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Fast könnte man querende Wildtiere von rechts übersehen…

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…oder andere Waldbewohner mit eingebauter Vorfahrt.

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Getreu dem Motto, dass die beste Kamera die ist, die man dabei hat, habe ich mir am vergangenen Wochenende noch ein weiteres Objektiv zugelegt: das Sony SEL 20f28, ein Weitwinkelobjektiv mit 20 Millimeter Brennweite. In puncto Bildqualität kann es zwar bei weitem nicht mit dem kristallklaren Zeiss Touit f1.8/32 mithalten – aber als sogenanntes Pancake hat es den Vorteil, das kleinste Objektiv für Sonys E-Mount-Bajonett überhaupt zu sein. Sehr schön illustriert hier beim Phoblographer.

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Es trägt also nicht nur in der Jackentasche kaum auf, es lässt sich auch ohne Jacke sehr gut tragen. So stapft man doch gerne über matschige Reitwege und den sandigen Boden des Waldes, in dem sich die letzten Strahlen der Abendsonne brechen.

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Dann ist sie vorbei, die goldene Stunde. Und es stimmt, was man sagt: Du kannst jedes Foto nur ein einziges Mal in deinem Leben machen. Das Joggingschuh-Motiv bei der letzten Runde neulich (bei dem ich mich im nachhinein über zu wenig Tiefenschärfe geärgert habe) konnte ich diesmal bereits nicht mehr nachstellen – als ich die schöne Wegbiegung erreicht hatte, war das Abendlicht schon weg.

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Dafür bietet sich reihenweise Anderes zum Ablichten. Nachdem ich vor einem Jahr im Venn so fotografisch frustriert war, habe ich jetzt endlich das Gefühl, es geht voran. Plötzlich ist die Welt voller Motive.

Und wie man dabei aussieht, in kurzen Jogginghosen auf einem Waldweg vor einer Nacktschnecke zu knien? Na, das ist einem dann auch egal.

Es gibt diese Tage

…da bleibt man besser im Bett. Ist besser für den Blutdruck.

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Zuerst denkt man ja an einen unabwendbaren Schicksalsschlag, wenn man so viel Vogelmist auf der Haube entdeckt.

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Dann wiederum entdeckt man den Mistvogel auf seinem Mast und merkt, dass es die reine eigene Dummheit war. Und kein Zufall, dass ausgerechnet dieser schöne große Parkplatz noch frei war neulich, schon so leider viele Tage her.

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Ich war ja immer gegen die Geflügelmast. Wie grausam, armen Vögeln gewaltsam Futter in den Rachen zu stopfen! Aber es gibt das durchaus eine oder andere Geflügel, dem möchte ich selbst einen ganzen Mast irgendwo hinstopfen – wenn auch nicht gerade in den Rachen.

Aachen mit anderen Augen

Die Führung begann um 10 Uhr am Dom und das war in zehn Minuten. Entsprechend flotten Schrittes marschierten Eva und ich die Adalbertstraße hoch. Schließlich mussten wir auch noch die Karten kaufen.

Wir waren nur noch ein paar Schritte vom Eingang des Drogeriemarktes entfernt, als der junge Mann im Kapuzenpulli aus der Tür kam, die Hände voll mit kleinen Artikeln an den Bauch gepresst. Nein, er kam nicht. Er rannte, er spurtete, kaum dass er auf der Straße war, und im selben Moment schrillte auch schon der Alarm los.

Alles Mögliche schießt dem Zufallszeugen in solchen Momenten durch den Kopf. Was passiert da? Der klaut da gerade was! Du musst ihn aufhalten! Noch bevor mein Hirn zu komplizierteren Situationsanalysen vordringen konnte, etwa, ob es mit irgendwelchen Nachteilen verbunden sein könne, sich einem flüchtenden Straftäter in den Weg zu stellen, stürmte ich auf den hageren Jüngling zu, laut etwas von „bleib stehen“ brüllend. Erschreckt wich er aus, ich griff nach ihm, verfehlte ihn, rannte ihm nach, er stürzte aufs Pflaster, Rasierklingenpackungen flogen in alle Richtungen, er rappelte sich auf und raste mit Höchstgeschwindigkeit die Straße hinunter in Richtung Kaiserplatz.

Zurück blieben vier Viererpacks Gillette Fusion Pro Glide zu immerhin je 18,99 Euro. Vor den Augen mehrerer stehengebliebener Passanten sammelte ich die Packungen auf, trug sie in den Laden zurück und drückte sie, noch reichlich außer Atem, einer etwas verdutzten Kassendame in die Hände. „Sind Sie geschädigt worden?“, fragte eine ältere Kundin. „Nein, ich bin ihm nur nachgelaufen“, erklärte der Retter der Gilettes mit bescheidenem Stolz und leichtem Keuchen.

Wir haben es dann nicht mehr rechtzeitig zum Dom geschafft. Aber das schöne Gefühl, einmal im Leben nicht wie ein Depp mit offenem Mund von den Ereignissen überrollt worden zu sein, war die Stunde Wartezeit bis zur nächsten Führung schon wert.

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Der Blumenladen am Fischmarkt heißt Blütezeit, und hätten wir nicht unsererseits die unverhoffte Zeit genießen können, wären er und seine üppig blühenden Auslagen mir wohl gar nicht aufgefallen. Man sieht auch Altvertrautes mit anderen Augen, wenn man plötzlich gezwungen ist, es wahrzunehmen.

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Wie auch diese possierlichen Bommelblumen im Elisengarten. Überhaupt, der Elisengarten: An so einem sonnigen Tag ist er voller gut gelaunter Leute, die es sich auf den Stufen gemütlich gemacht haben, mit ihren Kindern auf dem Rasen Ball spielen oder im archäologischen Pavillon neugierige Blicke auf die freigelegten Mauerreste aus zig Jahrhunderten werfen.

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Aachen ist voller Seele an solchen Tagen. Ich empfinde es als ganz großes, intensives Glück, an genau dem Ort der Welt leben und arbeiten zu dürfen, an dem ich es möchte. Und ich möchte nirgendwo anders sein als genau hier, in dieser uralten Stadt, die irgendwie das Wunder vollbracht hat, sich ihr kleines großes Herz bis heute zu bewahren, allen Stadtbränden, Bombennächten, Endsiegkämpfen und Modernisierungwellen zum Trotz.

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Und dabei bis heute immer wieder das Öcher Augenzwinkern durchblitzen zu lassen. Ob im Doppeladler über dem Grashaus, dem neu eröffneten „europäischen Klassenzimmer„, in dem Schüler an Europa-Workshops teilnehmen…

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…dem Hinweisschild auf die Warteschlange an der Wursttheke eines Imbisses…

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…oder in der – doch garantiert studentischen! – Reaktion auf ein eigentlich gar nicht lustiges Statement.

Doch dann beginnt unsere Führung – das heißt, eigentlich sind es zwei: eine Stadt- und eine Domführung. Die ebenso fundierten wie gelegentlich verschmitzten Erklärungen unseres Ortssachkundigen – er heißt Ortwin Vahle und sei hiermit allen Wissbegierigen ans führerlose Herz gelegt – bieten selbst für Nicht-mehr-ganz-Neu-Öcher noch reichlich Neues. So hatte ich zum Beispiel bis zu diesem Tag geschafft, nicht mitzubekommen, dass der schöne Katschhof so heißt, weil dort die Menschen gekatscht, sprich: geköpft, wurden.

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Ja, man sieht seine eigene Stadt mit anderen Augen, wenn man mal veranlasst wird, etwas genauer hinzuschauen. Und den Dom? Wie erlebt man den Dom, wenn man professionell geführt und begleitet wird?

Man sieht andere Details. Man bekommt ein anderes Auge für die Mosaiken, die Muster, die Gewölbe und Gepränge. (Einzelheiten und Hintergründe möge der interessierte Leser doch bitte an geeigneterem Orte nachschlagen, vielen Dank für Ihr Interesse.)

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Und am Ende gruselt man sich doch leicht vor dem menschlichen Schädel im Epitaph von Johann und Jakob Brecht in der Seitenwand der Nikolauskapelle.

Ein paar Schritte vom Dom entfernt, kauert sich in eine Nische am Granusturm des mächtigen Rathauses der uralte hölzerne Postwagen, eine skurrile Gaststätte mit winzigen Räumchen, Treppchen und Bänkchen. Wo könnte man den Rundgang durch Aachen besser ausklingen lassen als hier, die Köpfe voller Bilder und die Füße müde vom Gang durch die winkligen Gassen – und dem morgendlichen Sprint hinter dem Langfinger her?

Und siehe da, noch einmal haben wir Glück und können Vertrautes mit neuem Blick genießen. Auf dem Markt findet eine Oldtimerrallye statt. Wo sonst Gebackenes, Geerntetes und Geschlachtetes über die Theke geht, rangiert, manövriert und paradiert jetzt Poliertes und Verchromtes direkt vor unseren Augen.

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Ach, Aachen. So alt und immer wieder neu. Fortsetzung folgt. Schon morgen.

Abendrunde

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Darf ich euch mitnehmen? An einen meiner Lieblingsplätze in unserer kaiserlichen Stadt? Seit ich vor acht Jahren hergezogen bin, gehört eine Joggingrunde im Öcher Busch Öcher Bösch zu meinen Alltime Summer Evening Favorites, wenn nicht gar Weekend Afternoon Specials. Im Oktober 2007, noch kein halbes Jahr in der Stadt, habe ich darüber auch schon mal gebloggt.

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Lang ist’st her – die Joggingschlappen, die den Artikel von damals zierten, sind längst im Laufschuhhimmel und aktuell durch die oben zu sehenden schrillen blauen Hightechtreter ersetzt. Die Canon-Pocketknipse, mit der ich seinerzeit die Bilder machte, verdient heute ihr Gnadenbrot als Unterwasserkamera im Tauchbeutel, wenn ich im Urlaub mal Schnorcheln gehe. Unverändert geblieben sind nur der Öcher Busch und die Paarkilozuviel, die mich regelmäßig aus dem Haus treiben.

Und als Kamera vorhin eher spontan mitgenommen – das über der Schulter hängende Täschchen hüpft beim Joggen denn auch entsprechend albern herum – ist meine 2013 gekaufte Sony NEX-6 dabei (von der wochenlangen zermürbenden Entscheidungsfindung vor dem Kauf hatte ich ja seinerzeit lang und breit berichtet). Vorne dran ist heute das 30-Millimeter-Objektiv von Sigma. Diese Festbrennweite, die mich beim ersten Einsatz so begeistert hatte, lag anschließend doch meist in ihrem Köcher. Das zur Kamera mitgelieferte 16-50-mm-Zoom schien doch allzu oft die praktischere Wahl zu sein – allein schon wegen des Weitwinkels. In punkto Bildqualität läuft das Sigma allerdings Kreise um das Kitobjektiv, um mal beim Thema dieses Blogbeitrags zu bleiben.

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Wir parken unseren Wagen auf dem Parkplatz an der Monschauer Straße – auf der Karte mit der Zahl 71 markiert -, dehnen die verharzten Stelzen noch ein wenig und traben los. In Richtung Spielplatz (Nr. 69), von da aus über den gestrichelten Reitweg bis zum Hirschweg, anschließend die Steilrampe rauf zum 309 Meter hohen Tatarenkopf (nach welcher versprengten Ein-Mann-Horde der wohl so genannt wurde?), weiter in Richtung Forsthaus Grüne Eiche, kurz vorher links abgebogen und schließlich über den Wanderweg Nr. 5 zurück zum Parkplatz. Dauer: etwa eine halbe Stunde, je nachdem, wie schlimm man aus dem Training… äh, ich meine natürlich, je nachdem, wie lange der Autofokus braucht, um scharfzustellen.

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Es ist ein verschlungener und abwechslungsreicher Weg, der sich da durch den Wald windet. Mal stampft man über schweren Sandboden, den man sich mit Reitern teilt, mal läuft es sich locker über festen Waldboden, zwischendurch geht es ein paar Meter über den Asphalt des Hirschwegs.

Und immer gibt es irgendwas zu gucken.

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Die lagen beim letzten Mal zum Beispiel noch nicht da. Ob Förster Grüne Eiche sich da etwas für den Winterkamin zurechtgehackt hat?

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Aber da ist schon die Erklärung: Die Frühjahrsstürme diesen Jahres haben einige Spuren hinterlassen. Nach dem Sturm „Kyrill“ 2007 lagen seinerzeit auch noch viele Monate lang viele Riesen zersplittert auf dem Waldboden.

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Was für eine angenehme, abwechslungsreiche Strecke. Helle Wegstücke wechseln sich mit verschatteten Abschnitten ab. Die Sonne ist inzwischen hinter den Baumkronen abgetaucht – das Licht wird zusehends schwächer. Eine schöne Gelegenheit, mal die Lowlightqualitäten des Objektivs zu testen.

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Keine Frage, die Sigma-Festbrennweite ist Spitze. Wenn ich jetzt noch richtig fotografieren könnte, hätte ich sicher noch ein paar Stufen abgeblendet und etwas mehr Tiefenschärfe in die Bilder zaubern können.

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Immerhin: Der Fotokurs, den ich seit einigen Wochen besuche, hat dazu geführt, dass ich nach langer Zeit mal wieder den Blendenmodus benutze. Sogar einige dunkle Geheimfunktionen der NEX habe ich kennengelernt und daddele jetzt fröhlich an den Knöpfen für Belichtungskorrektur, ISO-Wert und Flexible-Spot-Fokussierung herum. Oh verdammt, schon wieder die Histogrammwerte aufgerufen, wie kommt man aus dem verdammten Menü nochmal raus?

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Was das Niedriglicht angeht: Ja, keine Frage, das haben wir heute reichlich im Angebot. Gelegentlich sorgt es für besonders stimmungsvolle Momente, wenn sich so wie hier letztes Tageslicht durch dichtes grünes Blätterdach gekämpft hat. Wahnsinn, wie scharf Kamera und Objektiv noch abbilden. Trotz des Schummerlichts und der zitternden Joggerhände, von denen sie gehalten werden.

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Endspurt. Für die letzten Meter hat der Weg noch einige unverhoffte Steigungen und Gefälle parat…

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…aber die Ausschilderung macht klar: Gleich sind wir am Ziel.

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Die letzte Kurve zieht uns wie ein Strudel die letzten Meter bergab. Noch ein paar Schritte über federnden Boden – und da sind wir wieder. Mit müden Muskeln (oh, dieser Autofokus… es hat doch länger gedauert als gedacht…), ein paar Mückenstichen auf Armen und Beinen und ein paar Motiven auf dem Chip, die zu Hause gleich mal genauer untersucht werden wollen.

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Während der Moorbraune mich nach Hause dieselt, schweifen die Gedanken ab. Ob ich heute irgendwelche Gramm Körpergewicht verloren habe, weiß ich nicht. Aber das Fotografieren hat richtig Spaß gemacht – hätte ich mich vor zwei Jahren für eine dicke Spiegelreflex statt der handlichen NEX entschieden, wären diese Bilder heute jedenfalls nicht entstanden, das ist mal sicher.

Und was ein gutes Objektiv kann, insbesondere bei wenig Licht, ist auch nochmal klargeworden. Dann war es also wohl doch gerechtfertigt, sich die halbe letzte Nacht um die Ohren zu schlagen, weil über ein gewisses Ebay-Sonderangebot entschieden (und gegoogelt) werden musste. Ein Festbrennweitenobjektiv. 32 Millimeter, also fast dieselbe Konstruktion wie das ohnehin schon brillante Sigma. Mit auf den ersten Blick auch nur marginal unterschiedlichen Werten: die größte Blende ist 1,8 statt 2,8 wie beim Sigma.

Allerdings ist die Optik von Carl Zeiss. Und sollte nur etwa die Hälfte dessen, was für dieses Objektiv mal zur Markteinführung aufgerufen wurde. Es waren dann die euphorische Rezension beim Phoblographer und die Beispielfotos bei Brian Smith, die mich überzeugt haben.

Ich habe nicht widerstehen können. Und seit heute Abend weiß ich auch, dass es die richtige Entscheidung war. Bleibt nur noch der Praxistest: Wie joggt es sich mit einem Zeiss-Objektiv?

Ich war am Zug

Es ist an der Zeit, euch etwas zu gestehen, ihr lieben und treuen Leserlein: Der Autor dieser Zeilen ist ein Morgenmuffel. Aufstehen ist ihm ein Graus, schlaftrunken stolpert er allmorgendlich die Treppenstufen hinunter, selbst die Dusche macht ihn kaum wacher. Bevor nicht am Frühstückstisch die erste Tasse Kaffee ihre Arbeit aufgenommen hat, ist er so munter wie eine Seepocke. Bei Ebbe.

Es kommt daher nicht jeden Tag vor, dass sich ihm schon beim Hören der ersten Lokalnachrichten im Radio die Nackenhaare aufstellen und der Puls beschleunigt. Nur zu oft hat er ja die Meldungen, die da verlesen werden, am Vortag selbst auf die Webseiten seines Arbeitgebers gewuppt.

Es kommt aber auch nicht jeden Tag vor, dass Aachens größter und wichtigster Verkehrsknotenpunkt stundenlang lahmgelegt ist – durch einen Zug. Genau das war aber passiert. Ein rund 40 Meter langer Schwertransporter, so war da zu hören, war in den Morgenstunden von der Autobahn 544 in den Europaplatz gefahren und in der engen S-Kurve zwischen den Leitplanken steckengeblieben. Geladen hatte er, so war zu erfahren, einen Eisenbahn-Reparaturzug.

Ein Zug blockiert den Europaplatz? Und es gab noch keine Fotos auf unseren Webseiten? Heckert, Sie sind am Zug! Wie zu seligen Lokalreporterzeiten griff der Autor dieser Zeilen – in seltener Heck-tik quasi – zur Kamera. Und zum Fahrradhelm, um sich auf den Weg zu strampeln. Denn – hier kommt ein Pro-Tipp, Leute – wer zu einem blockierten Kreisverkehr möchte, tut gut daran, das Auto stehen zu lassen.

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Um so mehr natürlich, wenn Ort des Dramas sowieso nur etwa 1100 Meter vom eigenen Zuhause entfernt liegt. Vor Ort hatten sich bereits reichlich Schaulustige und ein Kamerateam eingefunden. Letzteres visierte mich umgehend an, als ich meinerseits die Sony ansetzte. Erst als ich einen Polizeibeamten ansprach, erkannte mich der Kameramann offenbar als Kollegen und lies von mir ab.

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Wenige Stunden zuvor musste es sich gewaltig geknubbelt haben, eine Dreiviertelstunde lang ging auf der Autobahn in Richtung Innenstadt gar nichts mehr. Dann hatten Polizisten im Nachteinsatz den Koloss irgendwie aus der Engstelle herausgefädelt, ihn sicherheitshalber erst einmal auf der Außenspur im Kreisel geparkt und mit Warnbaken abgesichert. Auf der Autobahn dahinter – die A544 bis zum Europaplatz ist Aachens führende Anbindung in Richtung Düsseldorf und Köln – staute es sich zwar noch in erklecklicher Länge zurück, der Verkehr floss aber immerhin wieder. Wieviel Autopendler an diesem Morgen wohl verzweifelt ihren Vorgesetzten versucht haben zu erklären, dass die Bahn schuld an ihrer Verspätung war?

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Während ein genervter Autofahrer nach dem anderen an dem so ungewohnt nahen Schienenfahrzeug vorbeimanövrierte, berieten die Einsatzkräfte nach Kräften, wie das Monstrum von Aachens fröhlich sprudelnder Begrüßungsfontäne aus weiter in Richtung seines Bestimmungsortes gelotst werden sollte.

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Denn, so sagte mir der Einsatzleiter in die laufende Kamera, auf seinem Weg ins Verhängnis hatte der Transporter mit seinem geschätzten Lebendgewicht von etwa 115 Tonnen auch die Haarbachtalbrücke an der Abfahrt Rothe Erde passiert, die für gerade mal 40 Tonnen zugelassen ist. Ein schlichter U-Turn rund um den Kreisel, eigentlich die naheliegendste Lösung, schied daher aus.

349-Granus

Was übrigens nicht die Schuld von Fahrern und Navigatoren des gewichtigen Tatzelwurms war. Denen hatte nämlich die Straßenverkehrsbehörde des Landkreises Dithmarschen die Route so abgesegnet. Die Kollegen der Aachener Behörde hätten da wohl einiges zu ergänzen gehabt. Ziel des aus Polen kommenden Gefährts war der Hafen im belgischen Zeebrügge.

(Der „Reparaturzug“ entpuppte sich vor Ort als ältere Gleisstopfmaschine des Schweizer Herstellers Matisa in der Lackierung des spanischen Bahnnetzbetreibers AZVI. Möglicherweise handelte es sich um den ausgemusterten Vorgänger dieses 2011 neu erworbenen Fahrzeugs.)

Noch während ich um die stehende Kolonne herumkrebste, um kleine Videoschnipsel einzufangen, brach plötzlich Geschäftigkeit aus: Eine neue Route hatte offensichtlich den Segen der Verantwortlichen gefunden – über die Lütticher Straße sollte es jetzt weitergehen. Dieselmotoren wurden angelassen, Blinker gesetzt, die Polizeibusse riegelten den Verkehr auf beiden Spuren ab. Vorsicht bei der Abfahrt des Zuges. Sachte setzte sich der polnisch-spanisch-schweizerische Riese mit dem belgischem Ziel in Bewegung.

363-Abfahrt

Während sich die Stopfmaschine, die so wirkungsvoll das wichtigste Verkehrsnadelör einer Großstadt verstopft hatte, unter dem Abschiedsgeflatter der CHIO-Fahnen auf ihre Weiterreise machte, machte sich der selbsternannte Bild- und Videoreporter auf die seinige in die Redaktion. Wo ihm die mit solchen Dingen beruflich beschäftigten Kollegen zartfühlend erklärten, dass der so stolz angeschleppte O-Ton des Einsatzleiters aufgrund des im Hintergrund leerlaufenden Dieselmotors der Zugmaschine leider nicht verwendbar war. Nächstes Mal bitte ein paar Schritte weiter weg aufstellen, ja?

Immerhin, die Fotos waren zu gebrauchen, ein paar der Filmschnipsel auch. Wer mag, kann sich das Resultat des so bewegungslosen wie bewegten Morgens in Text, Bild und Bewegtbild hier bei der AZ ansehen (die AN hat eine eigene Textversion). Sich die teils unerträgliche Besserwisserei und Häme in den Leserkommentaren unten auf der Seite anzutun, ist aber auf nüchternen Magen nicht zu empfehlen – da sollte man zumindest den ersten Kaffee intus haben.

Für den Schreiber dieser Zeilen, mittlerweile am eigenen Schreibtisch angekommen, war es denn erstmal Zeit für Tasse Nummer Zwei – und einen dem Ereignis angemessen langen Zug.

Stil oder Knacks

Was einem lieb ist, das schützt man vor einem Knacks. Und was einem auch noch teuer ist, das darf ruhig mit etwas mehr Aufwand und Stil geschützt werden. Zu dieser Erkenntnis gelangt, klickte sich der Schreiber dieser Zeilen – seit kurzem stolzer Besitzer eines Edel-Notebooks mit Früchtelogo auf dem Deckel – auf der Suche nach einer angemessen funktionalen wie stilvollen Schutzhülle nächtelang durch die Angebote diverser Verkaufsplattformen im Netz.

Die 8,99-Euro-Hüllen aus Fernost waren schnell verworfen. Auf den Kunsthandwerks- und Handarbeits-Plattformen Etsy und Dawanda fanden sich viel schmuckere und individuellere Futterale. Doch der richtige Funke sprang erst über, als ein Bekannter von den Notebookhüllen einer kleinen Manufaktur aus Mülheim schwärmte: liebevoll aus wiederverwerteten Turnmatten aus dem Schulunterricht gefertigt, im markant-blauen Knieaufschürfer-Rubbelkunststoff, mit abgegriffenen Lederecken versehen. Mehr Stil ist kaum denkbar. Der Autor dieser Zeilen, in seiner Abscheu für den Schulsport unübertroffen, war begeistert: Das digitale Schätzchen in die Haut des alten Feindes wickeln, was für ein nachträglicher Triumph!

zirkeltraining

Da die upgecycleten Hüllen auch seiner Heimatstadt erhältlich sind, schwang er sich am folgenden Abend aufs Rad. Und damit wäre diese Geschichte um ein Haar auch schon zu Ende gewesen: Gedankenverloren zog er an einer Kreuzung vom rechten Straßenrand quer über die Spuren nach links, auf den Zielladen zu. Dass just in dieser Sekunde ein flott gefahrener Kleinwagen zum Überholen angesetzt hatte, merkte er erst, als dieser gefühlte Millimeter an seinem linken Lenkerende vorbeischoss.

Der Schreiber dieser Zeilen schätzt Fahrradhelme sehr. Ginge es nach ihm, würde kein Radler ohne die lebensrettende Styroporhalbschale auf dem Sattel sitzen. Er selbst wird diesem hehren Anspruch allerdings nicht immer gerecht – auch an diesem Abend nicht. Manchmal hat das ebenfalls etwas mit fehlendem Stil zu tun, manchmal mit schlichter Bequemlichkeit.

Sein Gesicht wird so weiß wie der Rahmen seines Rades gewesen sein, als er es mit zitternden Fingern vor dem Computerladen anschloss. Sein Notebook steckt seit jenem Tag in einer ebenso sportlichen wie stilvollen Hülle. Seinen Schädel, das hat er sich geschworen, verhüllt er von nun an ebenfalls, wenn er auf zwei Rädern unterwegs ist – denn noch stilloser als ein Notebook mit Kratzern ist nur noch ein Kopf mit Knacks.

[Geschrieben als “Gedanke des Tages” für AmAbend.com, 19 März.]