Köln, Photokina 2016. Ich fotografiere gerade die bizarre Schaufensterpuppenfamilie am Stand von Polaroid. Als ich dabei kurz vom Kameradisplay aufschaue, zucke ich zusammen: Direkt neben mir steht auf einmal ein älterer weißbärtigen Mann, sein Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Ich beende die Aufnahme und drehe mich dem unerwarteten Zuschauer zu.
„Ich sehe, Sie haben da ein Biotar an Ihrer Kamera“, beginnt er freundlich. Ich bin sofort beeindruckt: Das silbern glänzende Aluminium des fast 70 Jahre alten Objektiv-Oldtimers an meiner Sony hebt sich zwar bei näherem Betrachten von all den mattschwarzen Canikons, Sigmas und Tamrons ab, die hier durch die Hallen wuseln. Doch wer achtet in dem Messegewühl schon auf ein einzelnes Besucherobjektiv?
Doch mein neuer Gesprächspartner entpuppt sich als Mann vom Fach. Er hat nicht nur das Biotar trotz davorgeschraubter Sonnenblende erkannt (obwohl es sich auf den ersten Blick kaum unterscheiden dürfte von all den 50- und 40-Millimeter-Tessaren, den Primotaren oder den Flektogons der späten 50er-Jahre), er kennt auch all die anderen Linsen der Nachkriegszeit. Auch er spielt mit dem Gedanken, sich eine Sony-Vollformatkamera zuzulegen und sein gehütetes Altglas von früher zu neuem Leben zu erwecken.
Ich bekomme die Tipps, dass die Firma Fotoservice Bernd Tröster in Halle an der Saale alte Kameras aus DDR-Zeiten bestens wartet und repariert. Dass unter den „Exakta“-Kameras von Ihagee aus Dresden die Variante mit der abgerundeten Frontblende die beste sei. Im Gegenzug schildere ich meine Erfahrungen damit, Jahrzehnte alte Objektive an die Sony-Systemkameras Nex-6 und A7 zu adaptieren (es geht bekanntlich bestens).
Es ist eine aus der Zeit gefallene Unterhaltung, hier mitten in dieser Hightech-Show. An den Messeständen um uns herum werden Smart-Kameras der neuesten Generationen befingert, Besucher zielen mit brandneuen Teleojektiven für etliche Tausend Euro in der Halle herum wie mit Geschützen auf alten Segelschlachtschiffen und mehr oder weniger bedauernswerte Models räkeln sich in unterschiedlichen Szenerien vor den Hobby- und Profifotografen.
Die Fotowelt ist wieder einmal in hektischer Bewegung. Während die Riesen der Branche in Köln alles auffahren, was toll und teuer ist, ist die Fotografie im Wandel von digital zu smart. Die vertraute Kompaktkamera stirbt gerade einen schnellen Tod, was sie kann, kann das Smartphone längst besser. Actioncams, Kameradrohnen und immer neue Softwarefunktionen krempeln den klassisschen Kameramarkt radikal um.
Und hier stehen ich und mein neuer Gesprächspartner und reden über Technik, die ein halbes Jahrhundert plusminus ein paar Jahrzehnte alt ist. Technik von Firmen, die längst untergegangen sind, von großen Namen wie Rollei, dem VEB Pentacon und Meyer Optik Görlitz. Und wie gut das war, was diese Werke verließ. Es hat etwas Beruhigendes: Was einmal gut war, behält seinen Wert. Was einmal schöne Bilder produziert hat, tut das noch heute. Andere vielleicht als die extrem hoch auflösenden Dateien der Kameras mit ihren 42-Megapixel-Sensoren – die trotzdem manchmal so seltsam klinisch wirken, so nachgeschärft und perfektioniert. Ich habe ein einziges „modernes“ Objektiv, ein Sony FE 2 28. Es produziert fantastische Ergebnisse – und ich benutze es fast nie, weil mir die Bilder seltsam tot vorkommen. Es ist so gebaut, dass es eine starke tonnenförmige Verzerrung erzeugt – die dann softwaremäßig noch im Objektiv beseitigt wird.
Als ich abends nach Hause fahre, fühle ich mich ermutigt: Ich bleibe bis auf weiteres beim Altglas. Da gibt es noch viel zu entdecken. Noch am Wochenende danach ersteigere ich für ein paar Euro eine Ihagee-Kamera auf Ebay – natürlich mit runder Frontblende. Und mit einem klassischen Tessar-Objektiv von Carl Zeiss Jena, dem legendären „Adlerauge“, das Fotografen auf der ganzen Welt jahrzehntelang für seine Schärfe schätzten.
Natürlich im silbern glänzenden Alu-Look. Denn die Oldtimer aus Metall und Glas haben vielleicht nicht die perfekte Randschärfe der brandneuen Plastikbomber, dafür aber reichlcih andere Qualitäten: Sie zu bedienen, ist ein Genuss. Sie funktionieren auch noch nach mehr als einem halben Jahrhundert, wenn die Elektronik längst ausgefallen ist. Und ihre Ergebnisse überzeugen – wenn auch auf andere Weise. Sie wirken unvollkommener, aber lebendiger. Sie haben einfach: Stil. Außen wie innen. Dass es so etwas noch gibt.