„Willste am Sonntag mit zum Fuppes?“ Wieder so eine Frage, die sich dem Neu-Aachener nicht sofort erschließt. Wer ist Fuppes? Jupp heißt Josef, soviel ist klar, und Tuppes ist man auch schon mal genannt worden. Egal, bloß nichts anmerken lassen. „Klar, warum nicht.“ Später klärt eine wohlmeinende und mit der hiesigen Mundart vertraute Person den Schreiber dieser Zeilen auf, dass Fuppes Fußball heißt und er für eine Fahrt zum Auswärtsspiel der Alemannia shanghait wurde.
Und darum fährt der Tuppes
am Sonntag mit zum Fuppes.
Es ist ja nicht so, dass ich das Treten nach Lederbällen generell verabscheuen würde. In meiner letzten Wahlheimat Bielefeld wurde ich schon mehrmals auf die Alm in die SchücoArena gelockt – originellerweise stets in den Aachener Gästeblock. Beim letzten Mal, es war im Oktober vergangenen Jahres, verließen die angereisten Freunde aus der Kaiserstadt das Spiel allerdings bereits vorzeitig beim Stand von 4:1 für die Gastgeber. Leider nicht vorzeitig genug. Noch in Rufweite des Stadions brandete der Jubel der Westfalen ein fünftes Mal auf. Naja, Schwamm drüber, zweite Liga ist auch was feines.
Nun ist „Wehen“ der Gegner des Tages. Witze über diesen Namen verbietet der Anstand. Was es mit dem Club auf sich hat, ist etwas schwerer zu verstehen als die Bedeutung des Wortes Fuppes. Der SV Wehen ist eigentlich gar nicht Wehen, sondern eher Wiesbaden, spielt aber weder da noch dort, sondern in BankFrankfurt. Verstanden? Macht nichts, ich auch nicht. Wichtig zu wissen ist nur, dass hinter Wehen ein Hersteller von Wasserfiltern steckt. Um den Gegner nicht zu unterstützen, bereite ich am Sonntagmorgen meinen Frühstückskaffee eigens mit ungefiltertem Wasser zu. Schnell noch die kleine Pocketknipse eingesteckt (deshalb die etwas pixelige Bildqualität im folgenden), schon klingelt es an der Tür – auf geht’s!
Die Koordinaten des Großraums Frankfurt werden ins Navigationssystem gegeben – sind das viele Autobahnen! – und der Audi dahinter auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigt. Knapp zwei fröhliche Autostunden später rollt ein ebenso fröhliches Quartett auf dem Parkplatz aus.
Dort schwelgen bereits Fans in kühnen Visionen. „Wenn wir 4:0 gewinnen, sind wir Tabellenführer“, hat ein gelbschwarz gekleideter Aachener ausgerechnet. Düsenlärm reißt ihn aus seinen Aufstiegsträumen.
In der Nähe scheint ein Flugplatz zu sein. Prima, um so leichter sollte sich nach dem Spiel das Auto wiederfinden lassen: Wir müssen nur nach dieser DC-10 Ausschau halten.
So winzig der gegnerische Verein ist, so imposant ist sein Stadion. Der Name des Hauptsponsors ist mir leider entfallen – vermutlich eine Versicherung.
Der „Langnese Familienblock“. Geschlossen. Was ist trauriger: Dass es in Frankfurt keine Familien oder kein Eis gibt?
Was es dagegen gibt, ist eine kleine Imbussbude. Umgehend wird die lokale Stadionwurst verkostet. Ihre Soßenreste putze ich mir minutenlang mit immer verheerenderem Ergebnis aus dem Gesicht, bis ich merke, dass die untere Spitze der Serviette im Ketchup gehangen hat. Der knorpelige Phosphatschlauch legt nach dem Verzehr den Kreislauf seines Wirtes für längere Zeit weitgehend lahm.
Genauso prall gefüllt ist der Öcher Stehblock. Das Auge des aufmerksamen Betrachters registriert die Bandenwerbung eines Anbieters von „Abrechnungssystemen und Marketingkonzepten für das Taxi-Gewerbe“. Offenbar hofft das Unternehmen auf zahlreiche Taxifahrer unter den Gästen. Wenn das mal nicht trügt, hin und zurück sind es schließich gut 500 Kilometer.
Sodann plärrt aus den Lautsprechern die gegnerische Mannschaftshymne. Der holprige Refrain „Wir sind ein Team! / Esvau Wéhn! Wiesba-déhn!“ klingt dermaßen nach Schülerband, dass die zunächst fassungslos-mitleidig blickenden Nordrhein-Westfalen schnell beginnen, die Pausen im Text hilfreich mit „Aachen! Aachen!“ aufzufüllen.
Doch wo sind die Gastgeber? Blick nach rechts aus dem Fanblock…
Da tobt der Bär. Ausverkauft geht anders. Später erfahren wir, dass es genau 6.934 Besucher waren. Ohne uns wären es 6.930 gewesen, das ist schon ein Unterschied.
Anpfiff! Mit „Toben“ lässt sich leider auch nicht beschreiben, was in den folgenden 90 Spielminuten auf dem Grün passiert. Die Jungs da unten scheinen ebenfalls bei den Stadionwürstchen zugelangt zu haben. Zum Spiel selbst schreibe ich nichts, das können andere besser.
Schon 2:0. So war das nicht geplant. Wir verlassen kurz das traurige Geschehen, um uns zu stärken – nein, keine Currywürste mehr, jetzt müssen harte Getränke her. Kaum am Stand angekommen, erzeugt der Jubel der Gastgeber zum 3:0 ein gespenstisches Déjà-vu-Gefühl: Genau so war es letztes Jahr in Bielefeld auch. Was nun: Draußen bleiben? Zurückgehen? Der in dieser Sekunde ertönende Abpfiff gibt die Antwort.
Rückfahrt. Der Audi wirft sich mit einer Kraft auf der A3 voran, die der Aachener Sturm so sehr hat vermissen lassen. Schweigen bei den Herren im Wagen, spitze Bemerkungen beim weiblichen Teil der Mitfahrerschaft. „Weißt du eigentlich, gegen wen die Alemannia heute gespielt hat?“ – „Irgend so eine Kartoffelmannschaft, glaub ich.“ – „Die haben sie sicher ordentlich geputzt.“ – „Na klar! Was meinst du, wie sich sonst die ganzen Fans ärgern würden, die da extra mit dem Auto hingefahren sind.“
In zwei Wochen geht es gegen 1860 München. Immerhin kann ich dann vorher wieder mein Kaffeewasser filtern. Aber Currywurst ist tabu.