Wenn die Rheinischen Philharmoniker im Kölner Kronleuchtersaal auftreten, wird das kein Schlosskonzert. Sondern das genaue Gegenteil. Wer besagten Saal betreten will, stolziert keine barocke Prunktreppe hinauf. Er zwängt sich durch ein enges gemauertes Stiegenhaus, das sich unter einer gruftähnlichen Stahlklappe versteckt, die wiederum an einer Ecke der Grünanlage am Theodor-Heuss-Ring in der nördlichen Kölner Neustadt liegt. Und er nimmt sich besser einen der kleinen Pfefferminzstrauchzweige mit, die eine freundliche Dame mit den Empfehlungen der Kölner Stadtentwässerungsbetriebe am Eingang zum Orkus anreicht.
Der gemauerte Saal am Ende des Ganges wurde 1890 eingeweiht. Eine verzierte Gedenktafel an der Stirnwand erinnert an die für den Bau verantwortlichen Stadtoberen. Zwei Abwassersammelkanäle treffen dort zusammen, um vereint in Richtung Klärwerk weiterzufließen. Auf einer kleinen, an einen Bahnsteig erinnernden Plattform in dem etwa viereinhalb Meter hohen Tonnengewölbe ist genug Platz für etwa fünf Dutzend Klappstühle und vier Musiker.
Kronleuchtersaal heißt diese Höhle, weil auch Wilhelm II. sich das brandmoderne Bauwerk im Jahr seiner Einweihung anschauen wollte und man aus diesem Anlass zwei Kronleuchter unter die gemauerte Decke hängte. Der Saal ist also einer der ganz wenigen Orte, die selbst ein Kaiser zu Fuß aufsucht.
Und er riecht auch ganz genau so. Die Abwässer fließen munter plätschernd in braunem Strome hinter einem etwa kniehohen Mäuerchen vorbei. Gelegentlich dringt lautes Wasserplatschen ans Ohr, wenn in einem der größeren Wohnblöcke in der Nachbarschaft ein Sammelbehälter seine Pforten öffnet. Ja, das ist alles live, meine Damen und Herren.
Warum um alles in der Welt finden an so einem Ort klassische Konzerte statt? Ganz einfach: Die Akustik in dem Raum mit den drei Röhren ist einzigartig. Und so sitzt an diesem schönen warmen Sommerabend ein etwas flach atmendes, festlich gekleidetes Publikum auf den Holzstühlen mehrere Meter unter dem Erdboden, lauscht Bach-Klängen und versucht gleichzeitig, so gut es eben geht, die Bach-Geräusche und -Gerüche zu ignorieren.
Klassik in der Kanalisation. Samt einer Zugabe, die sich – mit Einverständnis des Publikums – nicht allzusehr in die Länge zog. Ein wahrlich unterirdisches Konzert. Musik, die man noch Tage später im Ohr hat, ist schon selten genug. Diese hier hatte man auch tagelang noch in der Nase.