Plötzlich bin ich wach. Es ist mitten in der Nacht. Im Schlafzimmer ist es stockdunkel. Es dauert ein paar Sekunden, bis ich richtig zu mir gekommen bin. Das Fenster steht auf Kipp, die Luft ist frisch im Raum. Es ist still. Doch dann höre ich das Geräusch wieder. Das Geräusch, das mich schlagartig hellwach gemacht hat.
Es ist ein leises Sägen. Rrrrtsch-rrrtsch, rrrtsch-rrrtsch, rrrtsch-rrrtsch. Schnell, rhythmisch, verstohlen. Jemand sägt da draußen, mitten in der Nacht. Wer ist da zugange? Und woran?
Eine Erinnerung taucht auf, aus meiner Zeit in Köln. Ein langer mehrstöckiger Wohnhausriegel, dahinter Gärten. Und dahinter wiederum Gärten und die Rückwand des Wohnriegels in der nächsten Straße. Eines späten Abends, ich lag schon im Bett, plötzlich ein Schreien aus dem Dunkel hinterm Haus: „Halt! Stehenbleiben, oder ich schieße!“ Zum Fenster gestürzt. Im gegenüberliegenden Garten, vor einer Terrassentür des anderen Hauses, standen Polizisten mit gezogenen Pistolen. Taschenlampen leuchteten. In der Mitte zwei Menschen, regungslos.
Auf der Straße versammelten sich die Nachbarn. Es stellte sich heraus, dass man Einbrecher auf frischer Tat ertappt hatte. Sozusagen direkt vor unserem Wohnzimmerfenster – und den Wohnzimmerfenstern von mehreren Dutzend weiterer Bewohner unseres Hausriegels. Die Inhaber der betroffenen Wohnung waren übers Wochenende weggefahren. Betroffenheit. Wer hätte gedacht, dass diese Kriminellen heutzugage derartig dreist…? Aber wer guckt schon abends in den dunklen Garten gegenüber.
Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf, als ich leise aufstehe. Sägt da jemand unseren Rollladen durch? Einen Griff an der Balkontür? Ein Einbruch? Bei uns? Die Brille auf dem Nachtisch, das Handy. Auf den Flur. Lauschen. Nichts. Jetzt das Licht an! Ein Blick die Treppe hinunter: Im Erdgeschoss huscht etwas Braunes aus dem Sichtfeld. Jetzt ist das Adrenalin im Blut auf Anschlag. Vorsichtig, Stufe für Stufe, jeden Nerv angespannt. In der Küche sitzt die Katze auf der Arbeitsplatte. Und miaut, hungrig. Und auch sonst ist alles: wie immer. Ein Mensch, ein Tier, sonst niemand.
Ein Blick auf die Uhr. Es ist gar nicht mitten in der Nacht. Es ist schon halb sieben Uhr morgens. In ein paar Minuten wäre ich sowieso aufgestanden. Noch einmal vergewissert, dass niemand im Haus ist, der nicht hingehört. Der Katze Futter in den Napf getan. Dann die Rollläden hochgefahren. Und schon steht Katze Nummer Zwei vor der Balkontür. Aufgemacht, bitteschön, immer herein, der Herr. Kalte Morgenluft streicht um die Knöchel.
Und da ist es wieder. Das Sägen. Rrrtsch-rrrtsch. Es mischt sich mit dem Schmatzen der beiden Katzen. Es kommt von der Straße her, wo Rauhreif den Bürgersteig und die geparkten Autos überzuckert hat. Eine Frau steht vor einem Wagen. Und kratzt Eis von der Windschutzscheibe. Rrrtsch-rrrtsch.
Erleichterung. Es war also tatsächlich ein Einbruch. Wenn auch keiner, der überraschend kam. Es war nur ein kleiner Wintereinbruch.