Die Geschichte – und damit dieses Blog – beginnt im Frühjahr 1999. Mein Freund Peter überzeugt mich und einige andere Freunde, dass Fliegen Spaß macht. Und man in den USA ganz leicht und billig den Pilotenschein machen kann. Zum Neugierigwerden nimmt er uns ein paarmal mit in kleinen Einmotorigen. Schließlich ist eine kleine Runde aus meinem alten Osnabrücker Freundeskreis mit an Bord: Christof, Holger, Sven, Karsten, Justus und ich. Wir lassen uns Unterrichtsmaterial kommen und kaufen Zubehör für die Flugvorbereitung. Peter paukt mit uns die Theorie.
Im November 1999 macht sich die kleine Gruppe auf den Weg nach St. Petersburg, an der Westküste Floridas. Für drei Wochen haben wir dort Appartement-Bungalows gemietet sowie einen Dodge-Van mit angemessener V8-Motorisierung. Unser Flugplatz: Clearwater Airpark, unsere Flugschule: die Suncoast Flying School.
Dann heißt es: Arbeiten, arbeiten, arbeiten. Aufstehen um 7 Uhr, Anziehen in aller Schnelle, Antreten am Flugplatz um 8 Uhr. Den ganzen Tag über wird gelernt: Navigation, Flugzeugtechnik, Aerodynamik und Verhalten in der Luft. Preflight Checks werden geübt. Beim Fliegerarzt das Medical eingeholt. Die theoretischen Prüfungen am Computer absolviert.
Und es wird geflogen,
geflogen,
und geflogen.
Die Maschinen sind solide alte C152, wie etwa die November Four Eight Niner Eight Five, „my personal eagle“. Kreuzbrav stecken die Vögel jede noch so harte Landung weg.
Meine erste Trainingsstunde habe ich allerdings noch auf N2084E, einer Cessna 172, bis ich aus Kostengründen auch auf die zweisitzige 152er wechsele.
N67307, ein weiteres geschätztes Schulungsmittel.
Das Leben am Platz ist abwechslungsreich. Wenn wir nicht lernen, in der Luft unsere Stunden sammeln oder im Restaurant gegenüber unsere Energievorräte auffrischen, beobachten wir das Airport Life, wie etwa den klapprigen Fuel Truck. Bremsen scheint er keine mehr zu haben.
Wir haben derartig viel um die Ohren, dass ich fast nie zum Fotografieren komme. Später, wieder in Deutschland, werde ich mich ärgern, wie wenig Bilder ich mitgebracht habe.
Die folgenden neun Fotos stammen allesamt von meinem Freund Christof:
Der Clearwater Airpark aus der Platzrunde heraus fotografiert.
Die N757TV. Die Cessna mit der hübschen dunkelblauen Lackierung stammt wie ihre Schwester N26EF („Extra Fear“) vom Vercharterer Clearwater Airpark.
Die Cockpits der zwei bis drei Jahrzehnte alten Veteranen erzählen vom harten Schulalltag.
Die praktischen Übungen wie Standard Rate Turns, Power On Stalls oder Emergency Procedures finden über dem Wasser des Golfs von Mexiko statt.
Die Aussicht ist herrlich, auch das Wetter spielt gut mit. Schade, dass man so selten Gelegenheit hat, die Szenerie zu genießen…
Florida ist wegen des warmen Klimas der Traum aller amerikanischen Senioren. Entsprechende Wohneinrichtungen überziehen das Land, das deshalb auch „God’s Waiting Room“ genannt wird.
Die Zahl der Boote und Yachten gibt einen Hinweis darauf, wie hoch der allgemeine Amüsierfaktor in Floridien liegt. Hier wohnt man nicht, weil man muss, sondern weil man will. Will jemand Spareribs?
Zur Übung landen wir auch immer wieder auf anderen Plätzen. So etwa auf Albert Whitted (KSPG) direkt am Wasser, oben im Bild, gerne auch auf dem menschenleeren Brooksville-Hernando County (KBKV), einem ehemaligen Luftwaffenplatz, sowie auf dem belebten St. Petersburg International (KPIE, genannt „Pie in the Sky“).
Nachdem wir Starts und Landungen, Touch ’n‘ Goes, Go Arounds, Slips, Crosswind Landings und Tower Control Work immer und immer wieder geübt haben, ist jeder von uns irgendwann reif für den großen Moment. Bei mir ist es am frühen Abend des 29. November soweit: Mein Fluglehrer Rick springt beim Rollen zwischen zwei Platzrunden aus der Maschine. „Have Fun“, ruft er mir grinsend zum Abschied zu. „Don’t Crash.“ My First Solo! Der Herzschlag erhöht sich rapide während ich zum Start rolle. Mit zittrigen Händen schiebe ich das Gas rein. Rotieren. Steigen. „November Four Eight Niner Eight Five leaving the pattern to the north.“ Ich fliege. Allein! Eine halbe Stunde lang kreise ich in Floridas Himmel, während in der einbrechenden Dämmerung unter mir die Lichter der Stadt angehen. Was für ein Erlebnis – deinen ersten Solo vergisst du nie.
Die Flüge führen schließlich weiter hinaus, meist nach Norden, wo das Gelände sumpfiger und die Gegend einsamer wird.
Jetzt folgen wieder meine eigenen Bilder.
Auf einem Solo Cross Country erlebe ich ein interessantes Phänomen. Genau auf meiner Wunschflughöhe herrscht schlechte Sicht. Aufsteigender Rauch von Waldbränden bildet eine solide, zusammenhängende Luftschicht. Ich überlege, ob ich FIS informieren soll und lasse es dann doch lieber sein.
Für uns Flugschüler ist der Lernstress groß. An Freizeitaktivitäten bleibt nur Essengehen am Abend und ein paar letzte Bierchen vor dem Einschlafen. So nehmen Justus und ich uns zumindest einen Tag frei, um die legendäre Disney World zu besuchen. Einmal abschalten, einmal nicht an Flugzeuge denken!
Es klappt nicht ganz. Auf dem Weg nach Orlando kommen wir zum Beispiel an dieser Werbung für das Museum „Fantasy of Flight“ vorbei. Im Nachhinein tut es mir fast leid, dass wir nicht kurzfristig umdisponiert haben: Das Museum wirbt mit der „greatest Aircraft collection of the world“. Die Ausstellungsliste auf der Webseite ist wirklich beeindruckend. Doch wir wollen ja zu Herrn Disney…
…und landen zunächst im Themenbereich „Main Street USA“. So kitschig und puppenstubenhaft alles ist, die Fülle der Details erschlägt den Besucher. Disney World ist tatsächlich eine Welt für sich – perfektioniert bis ins Äußerste.
So sieht es aus, wenn Amerikaner ein Schloss bauen.
So stellt man sich dort Europa vor…
…und so die Zukunft. Damals, in den Siebzigern, als der Park gebaut wurde. Mit Monorail und Satellitenschüsseln.
Für die größeren Kinder im Publikum interessant ist der echte Mississippi-Raddampfer und die ebenso echte Dampflok.
Mit der Seattle-Mariners-Kappe und der Plautze sehe ich schon ziemlich amerikanisch aus – Verzeihung, das war jetzt politisch unkorrekt…
Ach, verdammt, schon wieder ein gecrashter Flieger. Es hilft alles nichts. Mit einer entsetzlich zähen, verbrannten Truthahnkeule im Bauch geht es zurück nach St. Pete.
Auf einem Solo Cross Country überquere ich diese Airpark Community. Ein Haus, ein Hangar. Wäre das nicht der Traum jedes Piloten?
Hier dagegen ein regulärer Airport.
Das Kraftwerk an der Küste zwischen Crystal River und Clearwater. Im Flussdelta sind oft Seekühe zu sehen, die wie dicke graue Raupen im Wasser hängen.
Schließlich die dritte und letzte Woche. Am Samstgmorgen geht unser Rückflug nach Deutschland. Mittlerweile ist mein Geldvorrat restlos erschöpft – ich hatte anfangs ohnehin vor, nur den „halben“ Schein zu machen und die Sache nächstes Jahr zu beenden. Um so ärgerlicher, dass das Kreditlimit auf meiner Mastercard nur halb so hoch war wie erhofft.
Wenn Sven nicht eingesprungen wäre, hätte ich sogar mit dem Bezahlen des Appartments Probleme bekommen. Immerhin gelingt es mit Hilfe meiner American-Express-Karte, noch etwas Geld für die Flugstunden zusammenzubekommen. Das Unglaubliche scheint plötzlich doch greifbar: Ich habe die Mindeststundenzahl, ich habe die theoretische Prüfung, ich habe das Medical… sollte es doch noch klappen?
Ich melde mich zur Prüfung am Mittwoch in Crystal River an, eine knappe Flugstunde weiter nördlich an der Küste. „Was für ein Gefühl hast du?“ fragt mich Rick. Ich überlege. „Ich glaube, ich habe eine Chance.“
Und dann klappt es doch nicht. Nicht ganz. Im theoretischen Teil der Prüfung winde ich mich so irgendwie durch, komme beim Thema „Anmeldung beim Einflug in einen kontrollierten Luftraum“ arg ins Stottern, doch es langt. Dann der praktische Teil. Prüfer Davis nimmt eine Tasse Kaffee mit in die Maschine. Auf meinen Hinweis, so sei er aber kleckergefährdet, antwortet er: „I’ll judge you on this.“ – „I’m doomed.“ Dann geht es in die Luft.
Das meiste kriege ich gut hin. Turns, Stalls, die Emergency Landing, auch den Abschnitt „ungewöhnliche Flugzustände“. Mit Blindflugbrille auf der Nase warte ich, bis Davis die Cessna durch wildes Gekurbel in eine möglichst aussichtslose Lage manövriert hat und mir befiehlt: „Recover!“
Dann die Short Field Landing. Nervös taste ich mich im steilen Winkel an die Bahn heran, immer tiefer sinkt die Nadel auf dem Airspeed Indicator – bis Davis das Gas reinknallt und die Maschine in einen Go Around bringt. Aus!
Ich war zu langsam. Wir wären unweigerlich aus dem Himmel gefallen, erklärt er mir. Wenn der Mann eines beurteilen kann, dann das. Wie zahlreiche Flugzeugmodelle, Fotos und Gemälde in der Lounge des Flugplatzes beweisen, war er Corsair-Pilot im Koreakrieg und ist auf winzigen Behelfsflugzeugträgern gelandet. Deren Vordeck oft genug von geparkten Maschinen verstellt war. Da gab es keinen Go Around.
Deprimiert fliege ich zurück. Doch es ist noch nicht ganz zu spät. Am Donnerstag übe ich mit einem freien Fluglehrer in St. Pete Short Field Landings bis zum Umfallen.
Freitag der zweite Versuch. Der unweigerlich letzte, denn am nächsten Morgen sitzen wir alle im Flieger. Eigentlich hatte Davis gar keine Zeit für mich, aber unter der rauhen Schale des wortkargen Koreakriegveterans muss ein weiches Herz schlagen. Nach einiger Wartezeit steigen wir auf. Ein Start, eine Landung: Sitzt, passt, hat Luft. Bestanden. Bestanden? Bestanden!
Nur die Bürokratie leistet letzten Widerstand. In Clearwater liegt noch ein Formular, das Davis braucht. Keiner hat mir gesagt, dass es vonnöten sei. Also heimfliegen und – keinen Pfennig mehr verjuxen! – mit dem Wagen nochmal wiederkommen. Die Fahrt mit dem Van von Clearwater nach Crystal River und zurück wird mehrere Stunden dauern, dichter Berufsverkehr mich zusätzlich aufhalten. Aus der Luft sah die Strecke nach einem schlichten Stück gerader Landstraße aus. Erst bei tiefer Dunkelheit werde ich wieder zurück in unserem Appartement sein.
Vorher aber liegt noch ein Flug vor mir, ein letzter. Als ich das Flugplatzgebäude verlasse, mache ich einen Jubelsprung. Ich schwöre, dass dabei für eine Sekunde die Schwerkraft ausgesetzt hat. Ein anderer Pilot, mit dem ich mich vor dem Prüfungsflug kurz unterhalten habe, macht eine „Na, wie ist es gelaufen?“-Handbewegung. Ich drehe den Daumen hoch, er lacht.
Dann der Rückflug. Nach drei unglaublich stressigen Wochen, nach unglaublich viel Anspannung, Büffelei und Stress, nach Prüfungsangst und ungezählten Stunden in Floridas Hitze, nach dem Ausgeben jeder Mark, die ich habe und auf absehbare Zeit haben werde, ist es vorbei. Ruhig brummt der Vierzylinder vor mir, rechts geht über dem Golf von Mexiko die Sonne unter. Es ist der schönste Moment meines Lebens, und er dauert richtig lange.
Schließlich der Funkkontakt mit Clearwater. „November Four Eight Niner Eight Five, five miles to the north, inbound for landing.“ „Marc, wie ist es gelaufen?“ höre ich Peters Stimme. „Pilot number three – affirmative“, gebe ich zurück. Das größte Abenteuer meines Lebens ist zu Ende.