Hemmungslos copiert

Automobilistisch gesehen bin ich ja eher ein Genießer. Ein Gleiter. Ein Ausfahrer. Sogar einen Cruiser mag man mich nennen. Gebt mir einen großvolumigen Diesel, einen ausreichend lang übersetzten fünften Gang, dazu eine baumbestandene Allee, vielleicht sogar irgendwo in Südfrankreich, und ich kann mit 90 Stundenkilometern der glücklichste Motorist der Welt sein. Da können sich all die V8er-BMWs, GTI-Gölfe und Turbo-Audis auf den Überholspuren dieser Welt ihre Zylinderkopfdichtungen herausblasen. Motorleistung, Beschleunigungswerte, Drehmoment – mir doch schnuppe.

Dachte ich jedenfalls immer.

Und dann drückt mir Otmar den Schlüssel für seinen Copen in die Hand. Der Copen – erinnert sich noch jemand an Daihatsu? – ist so etwas wie eine japanische Kopie des Audi TT. Vielleicht auch eine späte Antwort auf den Porsche 356. Dies alles allerdings im Maßstab 1:2.

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„Da soll ich reinpassen?“ fragt der Fast-1,90-Meter-Mann mit ungläubig hochgezogenen Augenbrauen angesichts von nicht mal 3,4 Metern „Länge“ und knapp 1,5 Metern „Breite“ des fernöstlichen Spielmobils. Ja, es passt – wenn man die Einbauanleitung befolgt: Rückwärts rein, Hintern auf den roten Ledersitz positionieren, rechtes Bein händisch unterm Lenkrad durchfädeln, linkes Bein nachheben, Klamotten geradeziehen, Gurt aus Halteöse herausfriemeln, anschnallen, Tür schließen, zuletzt Seitenscheibe hochfahren. Sitzt, passt, hat – naja – ein klitzekleinwenig Luft.

Den letzten Schritt mit den Scheiben kann man sich allerdings auch schenken, denn der Copen war 2001 das erste Cabrio mit hydraulisch versenkbarem Hardtop. Und da die Sonne gerade so prächtig vom Öcher Himmel lacht, gönnen wir uns als erstes das uhrwerkartige Dachwegklappritual. Plötzlich entsteht sogar so etwas wie Kopffreiheit.

Käppi auf und los geht’s. Mitfahrgelegenheit Reloaded. Otmar dokumentiert die Testfahrt mit der iFon-Kamera. Mal gucken, was die kleine Karre kann…

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Machen wir’s wie der Copen, kurz und schnell: Für die Art, wie das Teilchen abgeht, gibt es nur Schmitz‘ Katze als Vergleich. Die 87 PS des 1,3-Liter-Motörchens würden sich an jedem 123er-Mercedes die Turbozähnchen ausbeißen – beim nicht mal 850 Kilo schweren Mikro-Roadster müssen sie nicht mal richtig hochdrehen, um im Kreisel die Reifen kreischen zu lassen. Das leichte Teil klebt regelrecht auf dem Asphalt, fegt wie ein Go-Kart um die Kurve und lässt dabei jeden Achtzylinder alt aussehen.

Selbst so ein ruhiger Raumgleiterpilot wie ich kommt da sofort auf den Geschmack. Ich geb Gas! Ich will Spaß! Das Motörchen röhrt, die Räderchen quietschen – noch eine Runde um den Kreisverkehr! Und aus dem Ausgang herausbeschleunigen! Jiiiihaaa!

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Soviel Spaß habe ich schon lange nicht mehr mit einem fremden Auto gehabt. Als wir schließlich wieder vor der Otmars Haustür stehen, steht mir das Grinsen immer noch wie ins Gesicht getackert. Mama, ich will auch so ein Spielzeug haben!

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Ja, der Winzling sitzt eng wie eine Zwangsjacke; es gibt für größer gewachsene Menschen genau eine bequeme Fahrposition (vielleicht auch ein bisschen weniger als das). Er hat so gut wie keinerlei Nutzfläche (bei offenem Dach liegt das Kofferraumvolumen offiziell bei 14 Litern). Auf die Rückbank passt kein Kasten Wasser (es gibt keine). Und mit seinem Beifahrer muss man sich schon wirklich gut verstehen, weil man sich schon auf geraden Strecken nicht wirklich aus dem Weg gehen kann, in Kurven wird’s dann richtig schmusig.

Kurz: Für einen Klotz wie mich ist der Copen das vielleicht unpraktischste Auto, das Geld kaufen kann. Und trotzdem hätte ich gerade verdammt gerne die rund 7000 Euro übrig, die man für so ein Rennsemmelchen auf den Tisch legen muss. Kein Zweifel: Ich bin copiert.

Mitfahrgelegenheit VI: Der Freund

Ich habe mir angewöhnt, meine Mitfahrer gleich nach der Kontaktaufnahme mit Namen im Telefonbuch zu speichern. Das ist hilfreich, wenn sich etwa während der 11.30-Uhr-Redaktionskonferenz nacheinander vier Leute auf der Mailbox für die abendliche Fahrt anmelden, von denen man zweien dann sofort wieder absagen muss, weil der Wagen schon längst voll ist, der dritte einem am Nachmittag per SMS selbst cancelt und man schließlich abends am Bahnhof Rothe Erde auf der Suche nach Nummer Vier ist, der möglicherweise einfach nur auf der falschen Seite des Gebäudes wartet. Es ist also immer gut, zu wissen, wer hinter welcher Nummer steckt.

Außerdem, und das ist fast noch wichtiger, kann man sich kleine Hinweise und Gedächtnisstützen zu den Fahrern wegspeichern. Jener Thorsten etwa, der mich beim ersten Mal versetzt hatte und zur Abfahrtszeit auch auf mehrfaches Anrufen und SMS nicht reagierte, fand als „Thorsten WARNICHTDA“ Aufnahme in die Kontaktwelt meines Schlaufons. Was mir einige Wochen später, als er erneut anrief, um eine Fahrt zu buchen, die Entscheidung leichter machte, das Gesspräch anzunehmen oder nicht. Ist schon blöd, wenn man jemanden anruft, und keiner geht ran, gell, Thorsten?

So hatte ich denn auch gleich eine schlechte Vorahnung, als mich eine SMS informierte, dass Lina (tatsächlicher Name dem Verfasser bekannt) einen Platz auf der abendlichen Fahrt von Aachen nach Köln gebucht hatte, die um 22.20 Uhr nach meinem donnerstäglichen Sport beginnen sollte. Lina erschien als „Lina FÜRFREUNDGEBUCHT“ auf dem Display, und ich erinnerte mich gleich an die Dame mit der wenig einnehmenden Stimme, die erst den Platz sicherte und dann mitteilte, dass es für ihren Freund sei. Ein Blick auf ihre Profilseite bei der Mitfahrzentrale hatte enthüllt, dass sie das Kunststück fertiggebracht hatte, trotz einer ganzen Reihe gebuchter Fahrten nur mit durchschnittlich zwei von fünf Sternen bewertet zu werden. Meist war’s, weil sie nicht zur Fahrt erschienen war oder für jemand anderen gebucht hatte (der dann nicht erschienen war). In meinem Fall war die Mitfahrt ebenfalls nicht zustande gekommen, weil der Freund angeblich den Bus zum Treffpunkt verpasst hatte. Nun ja, kann passieren.

Auch diesmal sollte ich letztlich wieder ihren Freund mitnehmen – ich frage mich in solchen Fällen immer, warum nicht der Herr Partner selbst die Fahrt bucht? Vertrauensbildung geht irgendwie anders. Letztlich kam aber doch noch ein telefonischer Direktkontakt zwischen besagtem Partner und seinem angehenden, zusehends un-enthusiastischer werdenden Chauffeur zustande. So einfach wie sonst war die Sache nämlich nicht: Es gab an jenem Abend das Problem, dass sowohl in Aachen als auch in Köln der Öffentliche Personennahverkehr ruhte. Streikbedingt. Der Mitfahrpartner sah sich folglich außerstande, zu einem meiner üblichen Abfahrtspunkte in Aachen zu kommen, auch zu keinem halbwegs am Weg liegenden. Stattdessen bat er um Abholung bei sich zu Hause. Sowie um Hinbringung zu seinem Zielort, der Burgstraße in Köln – wo auch immer die sein mochte. Obwohl mir solche Extratouren wegen ihres meist immensen Zeitbedarfs nicht sonderlich liegen, erklärte ich mich schließlich bereit, trotz Nach-Sport-Müdigkeit und später Stunde für jeweils einen Extra-Euro den Mann a) an seinem Zuhause in Walheim („das sind echt nur vier Minuten von der Autobahn!“) abzuholen und ihn b) nach Köln zu seiner Freundin (ob es dieselbe war, die die Fahrt gebucht hatte…?) zu transportieren.

Wie man es innerhalb von vier Minuten von der Autobahnabfahrt Lichtenbusch nach Walheim schaffen soll, blieb im Dunkel der Nacht verborgen. Mit einer basismotorisierten C-Klasse ginge das jedenfalls höchstens, wenn sie von vier Porsches gezogen würde. Nach zehn Minuten Fahrt über ländlich-hügelige Schleichwege schließlich fand ich mich um 22.45 Uhr in einer ghettoartigen Hochhauslandschaft wieder, in der pittoresk gekleidete Personen jüngeren Baujahrs auf Skateboards um mein Auto herumrollerten. Die Türen von innen fest verriegelt, informierte ich Mr. Freund über mein Eintreffen. „Ich bin in fünf Minuten bei Ihnen!“, versprach er. Es vergingen ihrer etwa zwölf, innerhalb derer mein Adrenalinspiegel nicht sank. Als ich gerade den Motor anlassen wollte, klopfte es an der Beifahrertür.

Herr Freund nahm Platz und machte zunächst einige Punkte wieder gut, indem er mir spontan etwas Kuchen anbot – was ich allerdings dankend ablehnte, da es mit meiner aktuellen Diät kollidierte. Während wir uns mühsam über Bodenwellen und um verkehrsberuhigende Ausbuchtungen aus dem Ghetto herauskurbelten, hielt Mr. Freund nach einem Kumpel Ausschau, dem er noch etwas zu übergeben hatte. Vielleicht war es mein Kuchen. Zwanzig endlose Landstraßenkilometer und ebenso viele Minuten später erreichten wir schließlich die Autobahnauffahrt Brand – die eigentliche Heimfahrt konnte beginnen. Mister Freund sorgte derweil für die Bordunterhaltung, indem er seinem Handy erst eine Vielzahl von schrillen Piepstönchen entlockte und schließlich eine Reihe endloser Telefonate in einer mir trotz erheblicher Sprechlautstärke unverständlichen Sprache einleitete. Ich halte mich für einen durchaus geduldigen Mitfahrfahrer, aber zwei Dinge schätze ich an meinen Gästen nicht: sich nach dem Einsteigen sofort die Ohren mit Lautsprechern zu verstöpseln – oder im Gegenteil um so lauter stundenlange Telefonate zu führen. Beides stempelt mich zum bloßen Dienstleister ab, dessen Gegenwart man getrost ignorieren kann.

Da ich Mister Freund in die Kategorie von Mitfahrern einsortierte, die das Thema Fahrtvorbereitung eher entspannt angehen, erkundigte ich mich in der ersten Sprechpause nach rund Dreivierteln der Strecke höflich, ob er den Fahrtbetrag passend dabei habe. Er hatte nicht. „Können Sie nicht wechseln?“ Ich verneinte. Kurzzeitig erwog ich einen Zwischenstopp an der Raststätte Frechen, denn nach der Visite in Walheim hatte ich wenig Neigung, stundenlang durch Kölns mitternächtlichen Osten zu schleichen auf der Suche nach einem Etablissement, das erstens noch geöffnet und zweitens willens war, Mister Freund einen Schein klein zu machen. Man hört ja so einiges von der Schääl Sick, und dass die Burgstraße nicht in der Südstadt liegt, sondern im tiefsten Vingst, hatte mir in der Walheimpause bereits ein Blick auf die Skobbler-App verraten. Auch war ich zu meiner schier ins Bodenlose wachsenden Begeisterung mittlerweile im Bilde, dass mich der kleine Abstecher auf die andere Rheinseite mit seinen fast 30 Kilometern hin und zurück bestenfalls eine halbe Stunde kostbare Lebens- und Schlafenszeit kosten würde. Andererseits ist in Streikzeiten ja Solidarität erste Bürgerpflicht.

Es kam, wie es kommen musste. Das künstlerisch inander verschlungene Doppel-Autobahnkreuz Gremberg ist schon bei Tageslicht für Unkölner schwer zu meistern, und wer sich bei Nacht zu sehr aufs Display seines Navis konzentriert, der wird schon am ersten Kleeblatt flugs in Richtung Bonn herauszentrifugiert. Mister Freund muss befürchtet haben, an der nächsten Abfahrt der A559 schlichtweg aus dem Wagen geworfen zu werden, so still wurde er ob meiner Flüche – deren Saftigkeit sogar noch steigerbar war, als mich das Navi nach dem Verlassen der Autobahn nicht wieder auf selbige zurücklotste, sondern über Landstraßen stadteinwärts schickte.

Viele, viele Ampeln, Abzweigungen und Kreuzungen später kurvten wir tatsächlich durch ein schlafendes, bodenwellenreiches Wohngebiet auf der Suche nach einem noch offenen Kiosk („ich muss auch noch Zigaretten kaufen und Sahne“ – eine Einkaufsliste, die meine Fantasie zu tollsten Blüten trieb). Doch, was soll ich sagen? Am Ende der Fahrt bekam ich mein Geld und Mister Freund ein „schönen Abend noch“ nachgerufen, eh er in die Nacht verschwand.

Eine weitere Ehrenrunde am Gremberger Kreuz in Richtung Bonn – meine mittlerweile erlangte Ortskenntnis half immerhin dabei, diesmal direkt wieder zurück auf die Autobahn zu finden – und nur etwa zwanzig zusätzliche Fahrtminuten trat ich, weit nach Mitternacht, todmüde vor der eigenen Haustür auf die Parkbremse. Daheim. Fast zwei Stunden hatte die zweifache Odyssee durchs Aachener und Kölner Umland gedauert.

Ehe ich zehn Minuten später im Bett todmüde die Augen schloss, hatte ich noch die Kraft, einen neuen Kontakt im Telefonbuch anzulegen. Vorname: Freundvonlina. Nachname: NIEWIEDER.

Mitfahrgelegenheit V: Mitgefühl

Sie liegen nicht immer auf dem Sonnendeck des Lebens, die Menschen, die sich zur Mitfahrgelegenheit melden. Viele haben erkennbar gerade mehr Restmonat als Restgeld, manche derbe Probleme am Hals. Da war die Frau auf dem Weg zum Scheidungstermin. Der Auszubildende, der sich die 5 Euro für die Fahrt erst von seiner Schwester abholen musste, weil er nicht an sein Konto herankam. Das Mädchen, das als Zeugin zu einem Prozess vor dem Landgericht Aachen musste. Der ältere Herr, dessen Hände von Parkinson zitterten. Die ausländische Praktikantin, die immense Anwaltskosten zahlen sollte, weil sie – wie von zu Hause gewohnt – TV-Serien aus dem Internet gesaugt hatte. Mit manchen Mitfahrern entwickelt man auf der Fahrt durch den dreiviertelstündigen gemeinsamen Lebensabschnitt regelrecht Mitgefühl.

So wie mit der jungen Frau, die ich gerade am Hauptbahnhof abgeholt habe. Das Handy am Ohr, klettert sie auf den Beifahrersitz, und mir ist sofort klar, dass das da gerade kein verliebtes Geturtel ist. „Warum rufst du mich überhaupt an? Ich habe eine einstweilige Verfügung gegen dich beantragt! Du hast Kontaktverbot zu mir!“ Gestikulierte Begrüßung in meine Richtung, einhändiges Anschnallen. Ich nicke wortlos, schalte die Radiomusik aus, lasse den Wagen an und rolle schon mal los.

„Ich weiß nicht, was mein Anwalt dir geschrieben hat! Lies doch erstmal den Brief!“ – „Wahrscheinlich musst du die Verfahrenskosten bezahlen. Schließlich bist du doch schuld!“ – „Du hast doch beim ersten Mal so getan, als ob du da nicht mehr wohnst, und den Brief zurückgehen lassen!“ – „Ich soll dich in Ruhe lassen!? Du verstößt doch gerade gegen die Auflagen, indem du mich anrufst!“

So geht es weiter. Kein Zweifel, da hat jemand eine wirklich unangenehme Geschichte hinter sich. Die Frau kann höchstens Anfang 20 sein, da ist ein gerichtliches Kontaktverbot gegen den Ex-Partner schon harter Tobak. Was mag der Typ ihr angetan haben, denke ich, während sich der Mercedes seinen Weg über die nächtliche Aachener Heinrichsallee sucht.

Ich werde es nie erfahren. „Sorry, das war nicht für deine Ohren bestimmt“, sagt sie, als das Telefonat nach einigen Minuten abrupt zu Ende gegangen ist. „War ja sicher auch kein angenehmes Gespräch“, murmele ich.

Und das war es auch schon mit dem Dialog zwischen Fahrer und Gast. Auf den nächsten 60 Kilometern bis zum Kölner Sülzgürtel sinkt mein Mitgefühl mit der Dame neben mir in jeder einzelnen der gut 40 sich endlos dehnenden Minuten, in denen sie haarklein ihrer besten Freundin vom Anruf des Ex berichtet.

Belgien rüstet auf

Mächtig aufgerüstet hat zum Jahreswechsel meine Leib- und Magentankstelle an der belgischen Grenze bei Eynatten. Vier flamm nagelneue Säulen statt einer klapprigen. Unter regenschützendem Dach. Mit schnelleren Pumpen als je zuvor. Und dank doppelter Stellplatzzahl weniger Notwendigkeit, nach dem Einhaken des Tankrüssels wieder ins Auto steigen zu müssen, um vor dem Bezahlen nochmal ein Stück vorzusetzen, damit der hinter einem stehende Depp mit dem seit zwanzig Minuten laufendem Motor schon mal anfangen kann. Nicht mal teurer ist das Gas geworden.

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Fehlt eigentlich nur noch freies WLAN, damit man seine Begeisterung auch ohne Roamingkosten in die Welt hinaustwittern kann.

Da fällt mir ein, dass ich ganz vergessen habe, euch zu zeigen, wie meine Lieblingszapfstelle noch vor Weihnachten aussah:

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Wochenlang war die Glastür mit Holzplatten provisorisch verrammelt, man musste durch den seitlichen Restauranteingang ins Gebäude. Der Tankwart erklärte mir, warum: Ein paar belgische Crashkiddies hatten in der Nacht einen geklauten Opel Corsa mit Wucht in die Tür gesetzt. Durch die Splitter kletterten sie in den Shop, plünderten die Zigarettenregale und machten sich dann mit dem Wagen davon.

Die Freude am erfolgreichen Bruch dauerte nicht allzulang. Ein paar Minuten später rasten die euphorisierten Möchtegernkriminellen schon in eine Geschwindigkeitskontrolle der Polizei.

Mit etwas Glück hätte es bei einer gebührenpflichtigen Verwarnung wegen zu schnellen Fahrens bleiben können – wenn die kriminellen Großhirne nicht ihre schwarzen Skimasken auf dem Armaturenbrett liegengelassen hätten.

Elektrisiert II

Der Besuch der Webcon 2014 (für alle Nicht-Öcher: Das ist so eine ganztägige Mischung aus Vortragsveranstaltung, Barcamp und Klassentreffen der Aachener Internetszene) vor drei Wochen hatte für mich noch einen ganz unerwarteten Aha-Effekt parat: Im Innenhof des Jugendgästehauses stand ich nämlich ganz unverhofft einem Auto aus Aachen gegenüber.

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Also nicht nur einem Auto mit AC-Kennzeichen, sondern einem in Aachen hergestellten: einem Streetscooter. Seit Juli stromern die ersten von 50 Vorserienfahrzeugen des an der RWTH entwickelten und bei Talbot in Aachen gebauten Elektroautos für die Deutsche Post durch die Lande.

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Was soll man sagen? Graues Armaturenbrett, Lenkrad, Ablagen. Sieht halt aus wie ein Auto. Kein BMW i3, eher kantig-nutzwertig. Aber immerhin. Und was kann er so, der Streetscooter? Zitat aus der Pressemitteilung:

Das speziell für die Deutsche Post konzipierte Fahrzeug fährt bis zu 85 km/h schnell und ist primär für die Zustellung auf dem Land ausgelegt. Das Fahrzeug verfügt über eine Leistung von 30/45 kW, die von einer Lithium-Ionen-Batterie und einem Asynchronmotor erzeugt wird. Die maximale Reichweite liegt bei 120 Kilometern.

Minutenlang schauen ich und einige Zufallszuschauer fasziniert dem Mobil zu, das offenbar im Hof eine Demonstrationsfahrt absolviert. Von der Elektromobilität als allgegenwärtigem Buzz(!)word immer nur in Zeitungen und Magazinen zu lesen, ist eine Sache. Sie tatsächlich mal live zu sehen, eine andere (zu hören ist da ja eher wenig). Das gelbe Quaderchen hier schnurrte jedenfalls sehr lebendig übers Pflaster.

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So ein Streetscooter ist vielleicht nicht so sexy wie der Tesla Roadster neulich an der Ampel. Aber er hat einen Vorteil: Die Chance scheint deutlich größer, dass irgendwann mal so ein Öcher Brummer vor meiner Haustür steht.

Auch wenn er dann gleich wieder wegfährt, nachdem sein Fahrer den üblichen Zettel („…heute jedoch nicht!“) in meinen Briefkasten gesteckt hat.

Update 18.11.2013: Passend zum Thema hat sich Spiegel Online mal mit dem Wirrwarr der unterschiedlichen Steckdosen- und Bezahlsysteme für Elektrofahrzeuge auseinandergesetzt.

Erschüttert

Hauptbahnhof Köln, Bahnsteig 8, 9.30 Uhr. Es ist Freitag, es ist bislang eine ziemlich überflüssige Woche gewesen (nein, nichts Dramatischeres als eine halbgare Erkältung und eine anstehende Autoreparatur) und der Schreiber dieser Zeilen wartet auf den Regionalexpress. Es soll nach Aachen gehen, und wer sich fragt, warum der Schreiber dieser Zeilen nicht wie üblich auf den bescheidenen Komfort seiner ollen C-Klasse zurückgreift, der fragt sich das zu Recht. Doch der brave Kilometerfresser steht seit einem Tag auf dem Firmenparkplatz. Sein Besitzer hat es am Donnerstag geschafft, auf dem Weg vom Parkplatz ins Büro den Autoschlüssel zu verlieren. Ja, auf den paar Metern über die Dresdener Straße und das Verlagsgelände. Vielleicht ist das Ding auch irgendwo im Verlag selbst aus der Hosentasche gehüpft, wer weiß das schon.

Das Erlebnis am Donnerstagnachmittag, auf dem Weg zu einem ziemlich wichtigen Termin vor dem Auto zu stehen und sich in wachsender Ungläubigkeit sämtliche Hosen- und Manteltaschen immer wieder aufs Neue zu durchwühlen, zählte zu den unangenehmsten Erlebnissen der vergangenen Tage. Irgendwo muss er doch sein! Doch Fehlanzeige. Also in Laufschritt und wachsender Nervosität zurück ins Büro, über Dresdener Straße und Verlagsgelände. Schreibtisch, Rollcontainer, der Kabelsalat auf dem Boden: Fehlanzeige. Konferenzräume, Kantine, Klo: Fehlanzeige. Der Schlüssel samt Ring – ich clipse ihn normalerweise während der Fahrt vom Rest des Schlüsselbunds ab, damit dessen Gewicht das Zündschloss nicht auf Dauer ausleiert – bleibt verschwunden.

Und mir nichts übrig, als mich für den wichtigen Termin das Auto einer netten Kollegin zu leihen. Und mich abends in den Zug nach Köln zu setzen, nach einem erfrischenden Fußweg zum Bahnhof Rothe Erde, durch Aachener Dauerregen. Unnötig zu sagen, dass nirgendwo im Büro ein Schirm greifbar liegt – erst auf den Stufen des Bahnhofs findet sich ein herrenloses, aber noch weitgehend intaktes Exemplar, das ich tatsächlich dankbar aufhebe und für den Rest des Nachhausewegs mitnehme. Es sind oft Kleinigkeiten, für die man am dankbarsten ist. Wie sehr man sich manchmal selbst über Weggeworfenes noch freuen kann.

Und wie sehr einen so ein Erlebnis erschüttern kann. Wie kann man nur seinen Autoschlüssel verschusseln? Die Dinger kosten beim Händler stolze 32 Euro (und fragt bitte nicht, woher ich das so genau weiß).

Seit geschlagenen zwanzig Minuten stehe ich also nun am Morgen danach auf Bahnsteig 8. Noch zehn Minuten bis zur Einfahrt des Zuges um 9.47 Uhr. Wenn das Smartphone nicht erfunden worden wäre, könnte man sich glatt in trüben Gedanken verlieren an diesem trüben Novembertag. Wie gut, dass das über drei Jahre alte iFon 4 noch halbwegs funktioniert. Nachrichtenportale, Twitter, Facebook; man so kann wunderbar eintauchen in die schöne bunte Netzwelt, wenn man etwas vergessen möchte, vor allem die eigene Vergesslichkeit. Ich lese Interessantes, ärgere mich über einen Twitterer, verpasse ein paar Beiträgen von Facebook-Freunden den Daumen, den es – auch das lese ich mit Interesse – demnächst nicht mehr geben soll. Dazu noch schnell eine Mail an die Redaktion.

Als ich wieder aufsehe, ist es 9.50 Uhr. Die Anzeigetafel für den nächsten Zug auf Gleis 8 kündigt statt meines RE9 einen Express aus Basel an. Und dem Schreiber dieser Zeilen fällt die Farbe aus dem Gesicht: Kann das sein? Kann es wirklich sein, dass hier gerade vor drei Minuten nur zwei Meter von mir entfernt mein Zug eingelaufen und wieder abgefahren ist – und ich nichts davon gemerkt habe? Kann man 300 Tonnen Regionalexpress einfach so übersehen? Hundertfünfzig Meter knallrote Doppelstockwagen samt vierachsiger Elektrolok? Bitte nicht! Erst der Autoschlüssel, jetzt das. So dämlich darf man doch nicht sein, wenn man noch frei und ohne Betreuer durch die Gegend laufen will!

Mühsam ringe ich um Fassung. Es muss an der Erkältung liegen. Am Zementschädel. Muss. Eine andere Erklärung gibt es nicht, jedenfalls keine angenehme. Die Erschütterung vom Vortag kommt mit Macht zurück, und sie ist tatsächlich noch zu steigern. Oh Mann! Ich gehöre ins Bett, am besten für den Rest der Woche. Oder gleich in ein Heim. Wie heißen noch diese Gedächtnistabletten für tüdelige Senioren, für die abends immer Werbung im ZDF läuft? Granustol? Sanofink?

Irgendwann beruhigt sich der Puls wieder etwas. Trotz allen Entsetzens, es hilft ja nichts: Ich muss nach Aachen, und zwar mangels Schlafwagen mit dem nächstmöglichen Regionalzug. Werde ich jetzt zur Strafe noch eine Stunde lang hier stehen müssen? Auf der Suche nach der günstigsten Verbindung streift der Blick über die Abfahrtspläne und Anzeigetafeln für die nächsten Zugläufe. Und bleibt auf einer solchen Anzeige schließlich hängen an einem Satz in kleiner Laufschrift: RE9 nach Aachen heute 35 Minuten später.

Er war also doch noch nicht da, mein Zug. So versunken ich auch war, einen ganzen Regionalexpress habe ich denn doch nicht übersehen. Oh Mann. Es dürfte eine ganze Weile her sein, dass sich ein Kunde des schienengebundenen Personnennahverkehrs so sehr über eine so saftige Verspätung gefreut hat. Ja, es sind manchmal Kleinigkeiten, für die man im Leben am dankbarsten ist. Etwa die Erkenntnis, doch noch nicht reif für diese Gedächtnispillen zu sein, diese… Dings, na, wie heißen sie noch…

Elektrisiert

Es sagt viel über die männliche Psyche aus, dass der allgemeine Kraftfahrer den Vorgang des Überholtwerdens nicht selten als eine Erniedrigung empfindet, als ein Gedemütigtwerden, eine öffentliche Herabsetzung durch ein ranghöheres Tier im PS-Rudel, als einen Akt der Kastration. Der Verfasser dieser Zeilen ist als bekennender Youngtimerfahrer natürlich immun gegen derlei urzeitliche Gefühlswallungen – was bleibt ihm angesichts der 72 Diesel-PS des Moorbraunen oder der gasbefeuerten 1,8-Liter-Basismotorisierung der Alltags-C-Klasse auch übrig als mildes Lächeln über die lächerlichen Beschleunigungs- und Ausbremsspielchen zeitgenössischer Turbodiesel oder V6-Boliden. Wie albern sich erwachsene Menschen doch aufführen können. Okay, völlig erhaben bin ich nicht über den einen oder anderen leichten Stich, den es mir versetzt, wenn mal wieder so ein gesichtsloser Kompaktwagen kurz vor der Ampel mal eben auf die andere Spur wechselt, an meinem gelassen dahingleitenden Sternenkreuzer vorbeizieht und sich respektlos noch schnell vor mich quetscht – OHNE BEIM EINSCHEREN ZU BLINKEN! Und das von so einer erbärmlichen Einkaufstüte auf Rädern! Hoppla, hab ich da unbewusst nochmal kurz beschleunigt oder hat sich der Kollege schlicht bei der Kalkulation von Restweg und -geschwindigkeit verrechnet? Jetzt steht er da auf seinem Linksabbiegerstreifen und findet nicht mehr zurück auf die rechte Bahn, weil man ihn nicht wieder reinlässt. Das nennt man wohl Turboloch, oder, mein Guter?

Ähm. Wo war ich? Sei’s drum. Es gibt ja auch durchaus Autos, da erkennt man neidlos die höhere Leistung an. Wer würde sich nicht gerne im Ampelduell einem aufröhrenden 300SL geschlagen geben? Oder mal in die Doppelauspuffrohre eines davonflitzenden Lamorghini Diablo gucken? Und es geht sogar noch besser. Ich hatte gestern das Vergnügen, auf dem Aachener Stadtring von einem Auto restlos abgeledert zu werden, das weder röhrte, noch einen Auspuff hatte.

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Einmal ist immer das erste Mal: ein Tesla Roadster. Garantiert 100 Prozent elektrisch und ebenso begehrenswert. So schnell ist sie da, die Zukunft des Autos.

Und wie schnell sie dann erst wieder weg war…

Schön, mein Freund. Die Runde geht an dich. Dafür krieg ich dich, wenn du an die Steckdose musst.

Wandern im Wein

4587_AhrblickFolgt man dem gewundenen Lauf der Ahr von Ahrweiler aus nach Osten, kommt man hinter Mayschoß in das schöne Winzerdorf Dernau. Ein guter Ort, um an diesem sonnigen Oktobersamstag der ebenso schönen wie seit Schülertagen vernachlässigten Tätigkeit des Wanderns nachzugehen. Also, Fahren zu Fuß. Quasi laufendes Reisen. Und den Motorradfahrern, die das unerwartet angenehme Wetter für eine Saisonausklangsspritztour nutzen, höchstens den einen oder anderen sehnsüchtigen Blick hinterherwerfend.

4588_Weinschach1024Schachbrettartig ziehen sich die Parzellen der Winzer über die Hänge. Durch die Weinberge führt der Rotweinwanderweg rund 35 Kilometer weit von Altenahr bis Bad Bodendorf. Die Gegend bei Mayschoß und Dernau gilt als eines der hübschesten Fleckchen der Route. Mitten durch die Landschaft ziehen sich die Reste des Strategischen Bahndamms, einer nie fertiggebauten Eisenbahnstrecke, an die unter anderem der Silberbergtunnel und die Pfeilerstümpfe eines Viadukts über das Adenbachtal erinnern.

4579_Weintrauben1024Jetzt, kurz vor der Ernte, sind die Trauben prall und süß – und überall vom Weg aus mit der Hand zu greifen. In der Luft liegt der schwere Duft von Trester, der gelegentlich als Häufchen am Wegesrand an die Vor-Ort-Verarbeitung der abgeernteten Trauben erinnert.

4603_WeingeometrieDer Weg wartet mit der einen oder anderen Steigung auf. Auf der Plusseite bietet er hinter jeder Biegung einen neuen spektakulären Ausblick ins Ahrtal. Und ist angenehmerweise weitgehend asphaltiert – statt grobstolliger Wanderstiefel genügen also ein paar bequeme Laufschuhe. Dementsprechend ist auch noch gut was los auf dieser ziemlich beliebten Ausflugsstrecke, wo der Weg tatsächlich das Ziel ist: An jeder Gabelung stehen verpustende oder wegsuchende Wandersleut, wahlweise auf Faltkarte oder Smartphone-Display starrend und schließlich doch die entgegenommenden Kollegen fragend: Geht’s da weiter auf dem Rotweinwanderweg?

4617_Katjaglas1024Zum Glück wartet in schöner Regelmäßig alle paar Kilometer eine kleine Straußwirtschaft, der private Ausschank eines Winzers. Laut Gesetz brauchen die Weinbauern keine Schanklizenz, um an höchstens vier Monaten im Jahr eine eigene Gastronomie zu betreiben. Bier darf’s dafür nicht geben, einfache Speisen schon, dazu muss mindestens ein alkoholfreies Getränk auf der Karte stehen. Mancher Winzer stellt einfach einen Tisch an den Weg, dazu eine Waschgelegenheit für Gläser, dazu Sonnenschirm und eine Preistafel – fertig ist die Unterwegserfrischung. Bleibt dem Laufmenschen nur die Entscheidung zwischen weiß oder rot, Wein oder Sauser?

4638_Marcglas1024Einen Federroten bitteschön. Wandern macht wahrlich durstig. Cheers – äh, Prosit!

4639_WeinfriedhofUnd schon geht’s beschwingt weiter. Erinnern sie nicht ein bisschen an einen Soldatenfriedhof, die kleinen Rebstocksetzlinge mit ihren Stützhüllen, wie sie so brav in Reih und Glied den Hang hinaufwachsen?

4641_MarienthalEin Stück hinter Dernau liegt in einer Falte des Tals das ehemalige Augustinerinnenkloster Marienthal, heute ein von den lokalen Winzern betriebenes Ausflugslokal. Die Ruine der Kirche des Klosters, das auf das Jahr 1137 zurückgeht, bietet einen malerischen Rahmen für das lautstarke Treiben da unten. Da hat sich der eine oder andere den Anmarsch etwas verkürzt und ist stilloserweise statt zwei Füßen auf vier Rädern angereist.

4651_Gelbwein1024Doch für die beiden ungeübten Wanderer oben auf dem Weg heißt es brav weitermarschieren. Sie wollen nämlich noch eine Ortschaft weiter, nach Ahrweiler. Der ehemalige Regierungsbunker, einst das teuerste Bauwerk der Bundesrepublik, heute eine Dokumentationsstätte, ist leider schon geschlossen.

So nehmen die müden Füße die letzten Kilometer in Angriff, während die allmählich untergehende Sonne das Gelb, Grün oder Rot der Weinblätter noch einmal richtig aufflammen lässt. Der Weg führt hinunter ins Tal, an der Römervilla vorbei und schließlich durch die alte Stadtmauer ins fachwerkerne Herz von Ahrweiler.

Unten angekommen, am Marktplatz im Schatten der Laurentiuskirche, lässt’s sich nett erholen. Natürlich bei einem Gläschen Federweißen und einem Stück Zwiebelkuchen. Ersteres frisch abgefüllt, das zweite frisch gebacken. Schon erstaunlich, wie weit man ohne Rad und Motor in ein paar Stunden kommen kann.

Dann geht es zurück nach Dernau. Mit der Regionalbahn. Man muss das mit dem Reisen zu Fuß ja auch nicht übertreiben.