Mitfahrgelegenheit VIII: Das Duo

„Am Hauptbahnhof“ lautet eine häufige Antwort, wenn ich meine abendlichen Mitfahrer frage, wo in der Domstadt Köln ich sie absetzen darf. Ich bemühe mich dann stets, möglichst zartfühlend zu erklären, warum ich als Südrandlagenbewohner wenig Neigung verspüre, im Abendverkehr nochmal eben schnell mitten ins Herz der Millionenstadt zu fahren. Für die Nichtkölner unter euch aber gerne hier die Erklärung in der Langversion: Köln ist groß. Sehr groß sogar. Selbst von der günstigsten Autobahnabfahrt aus dauert es je nach Verkehrsdichte mindestens 20 bis 40 Minuten zum Bahnhof – und zwar pro Fahrt. Ich käme also im günstigsten Fall 40 Minuten später nach Hause, im ungünstigsten fast anderthalb Stunden. Selbst für einen Extra-Euro hängt da die Money-Life-Balance in einer gewissen Schieflage. Also werfe ich 95 Prozent meiner Mitfahrer an der Straßenbahnhaltestelle Sülzgürtel ab, von wo aus die Linie 18 sie in einer knappen Viertelstunde ohnehin schneller zum Hauptbahnhof bringen kann als ich mit dem Auto.

Es gibt aber auch Ausnahmen, und von einer möchte ich jetzt erzählen. Im letzten Winter war es, und zwar im letzten richtigen Winter – also nicht im Dauerfrühling 2013/14, sondern in der Zwischeneiszeit 2012/13, als ein nicht enden wollendes halbes Jahr lang sich eine wochenlange Schnee- und Kältewelle mit der nächsten abwechselte. Die A4 war ein 60 Kilometer langes, permagefrorenes Eis- und Matschband und ich so froh wie noch nie im Leben, mir die besten Winterreifen gekauft zu haben, die es für Geld zu kaufen gab. Zwei Glatteisunfälle ereigneten sich in ebendiesem Winter auf ebendieser Autobahn just vor meinem Kühlergrill, die Zahl der von der Straße gerutschten Autos weiß ich nicht mehr.

In diesem Winter also, an einem rasch dunkler werdenden Nachmittag – es fielen schon wieder dicke Flocken auf die in den vergangenen Wochen immer weiter verdickte Schneedecke – buchte ein Mitfahrer. Zwei Plätze, für die Fahrt ab 19 Uhr von Aachen nach Köln.

Schon zum Treffen am Bahnhof Rothe Erde erschien ich etliche Minuten zu spät, weil es so lange dauerte, auf dem Firmenparkplatz die Autoscheiben vom Eis freizukratzen und anschließend über die glatten und zugleich verstopften Straßen hinzukommen.

Am Bahnhof warteten ein Afrikaner von etwa Mitte Vierzig und ein Mitteleuropäer, der noch ein paar Jahre mehr auf dem Buckel hatte und kein Wort sagte. „Er ist taubstumm“, erklärte mir der Afrikaner, während er vorne Platz nahm. Ich gestikulierte ein „bitte Anschnallen“ in Richtung Rückbank, was der Mann mit einem Daumen-Rauf-Zeichen quittierte und der Bitte folgte. So machten wir uns vorsichtig auf den Weg – im Schleichtempo.

Auch auf der Autobahn ging die Sache kaum schneller vonstatten. Der Schneefall wurde immer heftiger, mittlerweile war es auch stockdunkel geworden. Fahren war fast nur auf der rechten Spur möglich, wo sich eine langsame Kolonne mühsam ostwärts quälte. Wann wir wohl da sein würden, erkundigte sich der Mann auf dem Beifahrersitz besorgt. Normalerweise brauche ich für die Fahrt rund 40 Minuten; doch diesmal würde das kaum zu schaffen sein, erklärte ich. Was ein Problem war: Es stellte sich heraus, dass mein Mitfahrerduo um 20 Uhr eine Verabredung zur Weiterfahrt hatte. Am Kölner Hauptbahnhof. Nach Frankfurt. Und damit nicht genug: Von dort aus sollte es mit einer dritten Mitfahrgelegenheit nach München weitergehen, danach schließlich mit einer vierten zum endgültigen Ziel nach Augsburg.

Ich war halb beeindruckt vom Organisationstalent, halb mitleidig ob der grenzenlosen Zuversicht meiner Passagiere, dass diese Kette von vier eng getakteten Gelegenheitstaxifahrten auch halten würde. Hilfreich, wie ich bin, machte ich einen Vorschlag: Da jeder Fahrer vom Kölner Hauptbahnhof aus in Richtung Frankfurt über den sogenannten Verteilerkreisel an der Bonner Straße würde fahren müssen, bot ich an, das Duo dorthin zu bringen, was allen Beteiligten wertvolle Zeit sparen würde. Mein Fahrgast willigte ein und rief den Zweitfahrer an, um den neuen Treffpunkt vorzuschlagen. Und dann riss schon das zweite Glied der fragilen Kette: Ach, es sei doch so schlechtes Wetter, antwortete Fahrer Nummer Zwei, also da habe er spontan beschlossen, lieber mit dem Zug zu fahren.

Auf dem Weg von Aachen nach Augsburg bei heftigem Schneefall schon in Köln zu stranden, ist kein schönes Schicksal. Doch mein Mitgefühl wich schnell blankem Staunen. Mein Mitfahrer legte das Handy – es war ein älteres Nokia ohne jegliche Internetfunktion – nicht aus der Hand, rief sofort jemand anderen an und begann in einer mir fremden Sprache Instruktionen auszugeben. Es war sein Bruder, der zuhause am Computer umgehend begann, andere mögliche Mitfahrgelegenheiten herauszufinden. Die so aus Mitfahrbörsen herausgefischten Nummern wurden wiederum von meinem Auto aus angerufen – und binnen kürzester Zeit hatte mein Freund sich eine alternative Anschlussverbindung herbeiorganisiert, ganz ohne Internet.

Beeindruckt war ich dabei, wieviele Sprachen der Mann beherrschte. Deutsch sprach er mit mir, Suaheli mit seinem Bruder, Englisch mit einem der anderen Mitfahrer. Portugiesisch und Französisch könne er auch, erklärte er mir, als ich ihn auf seine Sprachfertigkeit ansprach.

Wer gelegentlich in diesem Blog mitliest, könnte den Eindruck gewinnen, dass ich es auf Afrikaner abgesehen habe, so oft tauchen sie in meinen Geschichten auf. Dafür kann ich nichts – es stammen halt vergleichsweise viele meiner Passagiere von diesem Kontinent. Seit ich Mitfahrgelegenheiten anbiete, habe ich mehr Menschen mit dunkler Hautfarbe kennengelernt als in allen vorhergehenden Jahrzehnten meines Lebens zusammen. Und dass der eine oder andere von ihnen die eine oder andere skurrile Anekdote für dieses Blog beigesteuert hat, macht sie in ihrer Gesamtheit nicht unsympathischer, im Gegenteil. Vor dem Mitfahrer dieses Abends empfand ich jedenfalls so etwas wie Hochachtung.

Unterdessen näherten wir uns dem Autobahnkreuz Köln-West. Es war bereits 19.40 Uhr und damit klar: Am Hauptbahnhof, von wo aus auch der Ersatzfahrer losfahren wollte, würden die beiden mit der Straßenbahn auf keinen Fall mehr rechtzeitig ankommen. Und weil es anders gar nicht zu schaffen gewesen wäre, entschied ich mich, einmal eine Ausnahme zu machen und sie doch zum Hauptbahnhof zu fahren.

Zumindest abends, wenn die Straßen freier sind, kommt man auf der Rheinuferstraße halbwegs gut in die City. Sogar bei Schneefall. Machen wir es kurz: Wir schafften es. Um kurz vor 20 Uhr kurvte ich auf den Kreisverkehr am Breslauer Platz hinter dem Kölner Hauptbahnhof ein. Mein Mitfahrer bedankte sich in aller Eile und drückte mir einen Zehner in die Hand, der Mann von der Rückbank machte nochmal sein Daumen-Rauf-Zeichen. Dann entschwanden beide in die Nacht.

Ich habe nie wieder etwas von ihnen gehört. Ich weiß nicht, ob sie in dieser Nacht Augsburg noch erreicht haben. Aber als ich über die verschneiten Kölner Straßen stadtauswärts nach Hause fuhr, empfand ich ein warmes Gefühl der Zufriedenheit: Falls es nicht geklappt haben sollte, hatte es jedenfalls nicht an mir gelegen.

Das ist eine der vielen schönen Seiten am Mitfahrenlassen. Manchmal besteht der Lohn in mehr als nur einem Stück Papier im Portemonnaie.

Blick auf die Zukunft

Als ich am Mittwoch mit dem Rad die Bonner Straße entlang in die Kölner Südstadt radelte, da hätte ich die Zukunft fast übersehen, so müde und verschlafen war ich noch.

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Die Zukunft stand am Straßenrand, unauffällig zwischen andere Autos geparkt. Und tat so, als wäre sie einer dieser Jaguar XF oder Maserati Quattroporte, die man in Köln ja gar nicht so selten sieht. Hätte sie nicht auf den Seitentüren Aufkleber getragen, die sie als Zukunft erkennbar machten, ich wäre glatt an ihr vorbeigefahren.

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So aber stieg ich erst voll in die Eisen und dann vom Rad. Gut, dass ich die Handykamera dabei hatte. Hat sie nicht bildschöne Linien, die Zukunft?

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Und auf was für schicken Rädern sie angerollt kommt…

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Ihr Innenleben hält sie dagegen geheimnisvoll versteckt. Durch die spiegelnden Scheiben das elegante Armaturenbrett mit Lederbezug und Edelholzeinlagen zu fotografieren, war fast unmöglich. Immerhin ist das mächtige Hochkant-Display in der Mitte zu sehen.

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Und dann diese Detaillösungen. Die liebevoll gestalteten Klappspiegel. Die bündig mit der Außenhaut abschließenden, verchromten Türgriffe (die ich so noch nirgendwo gesehen habe). Die komplett geschlossene, äh, „Kühler“-Maske.

Es ist ein Tesla Model S, seit 2012 im Handel erhältlich und zu hundert Prozent elektrisch, wie es auf den Türaufklebern draufsteht. Der große Bruder des Roadsters, der neulich in Aachen an der Ampel neben mir stand. In der Version mit 60-KWh-Batterie (knapp 400 Kilometer Reichweite) für gut 65.000 Euro, in der mit 85-KWh-Batterie (rund 500 Kilometer) ab 75.000 Euro zu haben. Die Sportvariante schließlich beschleunigt in 4,4 Sekunden auf Tempo 100, rennt 210 km/h (wie lange, steht nicht auf der Firmenseite) und kostet fast 88.000 Euro. Aufpreispflichtige Extras wie Alcantara-Dachhimmel oder Premium-Innenbeleuchtungspaket gibt es reichlich – für die Leute, die auch in der Zukunft immer noch mehr haben müssen als alle anderen.

Er fügt sich optisch wirklich nahtlos in die Reihe der Premiumlimousinen ein. Ein Quattroporte, wenige hundert Meter weiter unten an derselben Straße geparkt, leugnet die Klassenzugehörigkeit nicht.

Die Zukunft ist hierzulande noch ein bisschen exklusiv. In den USA war der Model S im vergangenen Jahr das meistverkaufte Luxusauto (rund 18.000 Stück gegenüber 13.000 S-Klasse-Mercedes). Doch wenn man die Augen offenhält, begegnet einem die Zukunft auch bei uns öfter, als man geahnt hätte: Nur wenige Stunden später kommt mir am selben Tag das zweite S-Modell entgegen. Nicht etwa in Köln, mit Münchner Kenzeichen. Sondern in Eschweiler. Mit HS(!)-Nummernschild. Jetzt gibt es keinen Zweifel mehr: Wenn sie erstmal in Heinsberg angekommen ist, dann ist sie bald überall, die Zukunft.

Mitfahrgelegenheit VII: Näher, mein Gott, zu dir

Haben wir Vorurteile? Ressentiments gegenüber Ausländern, Andersfarbigen oder sonstigen Mitbürgern, die nicht so aussehen wie wir? Was für eine Frage, natürlich nicht!

Aber was schießt uns durch den Kopf, wenn nachts um halb Elf an einer Tankstelle zwei schwarze Männer zu uns ins Auto steigen? Also keine depressiven Teenager in emo-schwarzen Klamotten, sondern echte, afrikanischstämmige Erwachsene? Wer schon ein paar hundert Menschen aus allen Kontinenten von A nach K gebracht hat, der ist vielleicht gegenüber neuen Mitfahrern aus anderen Erdteilen tendenziell einen Hauch entspannter als jemand, der noch die in der Kindheit eingehämmerte Reserviertheit gegenüber fremden Männern im Kopf hat. Von der sprichwörtlichen Furcht vorm schwarzen Mann aus dem Kinderspiel ganz zu schweigen.

Trotzdem muss ich gestehen, dass mir blitzartig die Frage durchs Hirn ging, wie die heutige spätabendliche Heimfahrt wohl verlaufen würde. Der auf den Beifahrersitz kletternde Mitfahrer, der die Fahrt gebucht hatte, hatte am Telefon nicht überströmend herzlich geklungen – ein Eindruck, der sich beim Anbordgehen des Duos nicht wesentlich änderte. Sein Kompagnon machte einen aufgeräumteren Eindruck. Nachdem beide meiner Bitte nachgekommen waren, sich anzuschnallen, rollten wir los. Vor uns 65 nachtschwarze Kilometer bis Köln.

Die ersten zehn Minuten verflossen ereignislos – unterbrochen nur durch ein Handytelefonat des Vornesitzenden in jener fließenden Mischung aus Deutsch und Französisch, die so viele Afrikaner zu sprechen scheinen. Der junge Mann auf der Rückbank erkundigte sich höflich nach dem Typ meines Mercedes; wir wechselten ein paar Sätze über Vor- und Nachteile der älteren und neueren Modelle aus Stuttgart.

Schließlich kam von hinten der Satz, der dem Abend eine gänzlich unerwartete neue Drehung gab. „Entschuldigen Sie, dass ich Sie so frage, aber: Glauben Sie an Gott?“

Auch wenn das grundsätzlich keine völlig abwegige Frage ist – auf stockfinsterer Autobahn habe ich sie noch nicht gestellt bekommen. Waren das Missionare? Ich verdrängte den Gedanken an die Umstände, unter denen im Film „Pulp Fiction“ Jules Winnfield alias Samuel L. Jackson Hesekiel (25:17) zitiert. Zögernd gab ich den Herren Einblick in meine Sichtweise auf Schöpfer und Schöpfung. Und siehe, es stellte sich heraus, dass sie Studenten waren, Studenten aus Bonn. Studenten der Theologie.

Vor fremden Menschen im Auto habe ich meine Scheu mittlerweile weitgehend abgelegt. Gegenüber religiösen Zeitgenossen bin ich noch nicht ganz so ungezwungen im Umgang. Doch die Unterhaltung gewann mit jedem Kilometer an Tiefgang: Von der grundsätzlichen Frage nach der Existenz Gottes kamen wir auf die Rolle des Glaubens im Alltag und zur Bedeutung der Nähe zu Gott. Schließlich erläuterte der Mann auf dem Beifahrersitz die Bedeutung, die Jesus‘ Kreuztod für uns Menschen hatte: Galt zur Zeit des Alten Testamentes noch, dass verdammt war, wer auch nur eines von Gottes Geboten gebrochen hatte, so genießt der Mensch seit Jesus‘ Tod die Gnade, auch als Sünder die Vergebung Gottes erlangen zu können. Und nur Jesus als Mensch gewordener Gott konnte auf diese Weise unsere Sünden aufheben, denn: „Er war das perfekte Opfer, das perfekte Lamm, weil er ohne Fehler war.“

Ich staunte. So schön, so verständlich hatte mir noch niemand erklärt, warum sich Gottes Sohn ans Kreuz hatte schlagen lassen müssen. Was ich auch zugab. Worauf von der Rückbank kam: „Ich habe das aber auch noch nie so toll gehört.“ Wir lachten alle.

Als wir in Klettenberg von der Autobahn fuhren, war meine Stimmung ins Nachdenkliche geschlagen. Wenn es einen Gott gibt, wie kann man seine Nähe suchen? Lässt er sich um Rat fragen? Bietet er Hilfe bei Entscheidungen, vor denen wir ratlos sind?

Ein paar Minuten später stoppten wir an der Straßenbahnhaltestelle Sülzgürtel. Ich verzichtete auf das Fahrtgeld. Zum einen, weil mir die Denkanstöße der vergangenen halben Stunde mehr wert waren. Zum anderen, weil ich mich ein wenig schämte: dass ich, als die Jungs in meinen Wagen stiegen, als erstes nicht an Theologiestudenten gedacht hatte.

Einmal runderneuern, bitte

„Ja, lohnt das denn überhaupt noch?“, wird so mancher fragen. Mehr als 1000 Euro in ein Auto zu stecken, dessen Auslieferungstag sich gerade zum 20. Mal jährt – und das in diesem Zustand schon für irgendwas um die 2000 Euro auf dem Markt zu haben ist. Ein Auto ohne Beifahrerairbag, ohne Kopfstützen hinten, ohne elektrische Fensterheber, ohne Klimaanlage, Tempomat und selbstverständlich ohne Ledersitze, Edelholzarmaturenbrett, Chrom in den Stoßleisten, fünften und sechsten Zylinder und was die Aufpreisliste damals sonst noch hergab. Und das auch noch schon fast 300.000 Kilometerchen auf der Uhr hat.

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Man kann natürlich sagen: Das Geld hättest du mal lieber auf Seite gelegt und demnächst einen halben Neuen damit bezahlt. Was einerseits wahr ist. Aber andererseits negiert, dass dieser unscheinbare classicweiße Geselle in seiner Basismotorisierung und (Fast-)Buchhalterausstattung eine Gasanlage in sich trägt, für deren Einbau 2500 Euro auf den Werkstatttisch zu blättern sind. Und man sich ein Auto, das pro 100 Kilometer gerade mal läppische 4,50 Euro wegnuckelt, auch erstmal basteln muss.

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Und: Dass ich ihn inzwischen mag. Sehr sogar. Seit er mir im Juni 2011 zugelaufen – und dem Verschrotter gerade noch von der Presse gesprungen – ist, hat er mich in einer so unaufgeregten Weise durch die Welt gefahren, wie man sie sich von einem professionellen Butler nicht schöner wünschen könnte. Stolze 120.000 Kilometer ist das jetzt her – dreimal um die Erde. Klar, der Butler ist längst im gesegneten Rentenalter, hier und da hat es auch schon mal etwas geknirscht. Da war das heulende Radlager letztes Jahr auf dem Weg nach Feurs (aber wessen Kniescheibe knackt nicht gelegentlich?), da war das neue Getriebe im Herbst (aber setzt man einen Hausdiener vor die Tür, weil er einen Herzschrittmacher braucht?). Stehengeblieben ist er nie, wenn man die gestorbene Batterie auf dem Campingplatz in Frankreich bei der Portugalreise 2011 mal wegdenkt (und wer hat morgens nicht schon mal verschlafen?). Nicht ein einziges Mal habe ich ihn verflucht, weil er musste und nicht mehr wollte. Was ihn positiv von einigen anderen Autos unterscheidet, die zu fahren ich das manchmal zweifelhafte Vergnügen hatte. Und 120.000 Kilometer, das ist schon ein komplettes Autoleben, verbracht größtenteils auf der A4 zwischen Köln-Eifeltor und Aachen-Rothe Erde. Es waren 120.000 entspannte und angenehme Kilometer.

Ich mag sogar sein Äußeres, das die Unaufgeregtheit seines Charakters so stimmig widerspiegelt. Diese klaren Linien ohne wirr hineingebügelte Kanten oder wild gefletschte Lufteinlässe, dieses abgrundtief nüchterne und dabei so grundsolide Innere ohne jedes verchromte Bling-Bling (den Ausruf „boah, was für ein cooles Retro-Auto!“ einer Mitfahrererin werde ich nie vergessen). Als dieses Design entwickelt wurde, war gerade die Mauer gefallen, und trotzdem wirken die im automobilen Alltag immer noch allgegenwärtigen W202 so vertraut wie zeitlos. Und die Käseecken-Rücklichter, Anfang der Neunziger das Höchstdenkbare an Stuttgarter Schrillheit, fallen heute ungefähr so auf wie gefärbte Männerhaare in einer Fußgängerzone. Nämlich gar nicht.

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Also hat er sie bekommen, die nochmal ganz große Rundumrenovierung. Zwei neue gebrauchte Kotflügel vorne, einer frisch lackiert. Den Rempelschaden im Stoßfänger vorne rechts gespachtelt und gelackt. Die Rostansätze aus den hinteren Radläufen getilgt. Kantenschäden an der Fahrertür beseitigt und übertüncht. Ein neuer Antennenstab. Neue Stabilisatorgummis. Eine neue Wasserpumpe. Und, nur fürs Auge, aber dafür um so schöner: Endlich verstärkte hintere Federn, weil unserem treuen Diener dank LPG-Tank und Anhängerkupplung der Hintern doch immer etwas tief hing. Jetzt sieht es aus, als ob das Mini-Muscle-Car vor lauter Drehmoment kaum die Räder auf die Straße bekommt.

Und das Beste: Alles ist noch vor Feurs 2014 fertiggeworden. Wie ein Brett liegt der Wagen wieder auf der Straße, die frische Optik scheint sogar auf die Motorleistung heilende Auswirkungen gehabt zu haben. Der Butler strahlt. Eine neue Lackschicht ist wie ein neues Leben.

Tankentreffen

Und als ich am Abend nach dieser ganz persönlichen Geburtstagsüberraschung mal wieder an meiner Stammtanke in Eynatten für 48 Cent pro Liter den Gastank vollmache, da tut mir der ebenfalls bestens gepflegte C200 an der Zapfsäule rechts neben mir, trotz seiner 14 Mehr-PS, sogar etwas leid. Hängt ja doch etwas tief, der Hintern.

Flache Freunde

Neulich, auf dem Parkplatz eines größeren Aachener Supermarktes. Was versteckt sich denn da Niedliches zwischen den großen Autos?

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Schau an. Auch ein Kleinwagen muss im automobilen Alltag also nicht zur grauen Maus gerinnen. Welche Wunder eine auffällige Lackierung doch wirken kann…

Das Foto des flachen Freundchens – es handelt sich um einen Lotus Elise – löste auf Twitter einige fröhliche Kommentare aus, die Euch vorzuhalten nicht meine Absicht sein kann:

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Osterüberraschung II

Damit jetzt niemand aus meinem jüngsten Beitrag einen unzutreffenden, gar negativen Eindruck meiner schnuckeligen Heimatstadt aus diesem Blog mit in sein weiteres Leben trägt, seien noch einige Impressionen aus dem Oldenburger Schlossgarten nachgeschoben, den zu besuchen sich am sonnigen Ostersonntag ergab.

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Und: Oh, auch das war eine Überraschung. Oldenburg hat nicht nur in punkto, äh, Sternenklarheit mit anderen Großstädten gleichgezogen, sondern auch in Sachen Sonnengenuss – „wie im Englischen Garten“ kommentierte meine Tante den Anblick, der sich uns bot. Und damit hatte sie gleich doppelt recht, denn Herzog Peter Friedrich Ludwig hatte die 16 Hektar große Anlage schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts tatsächlich in Form eines englischen Gartens anlegen lassen. Auch das einfache Volk sollte nach dem Willen des Landesvaters die künstlerisch gestaltete Natur genießen können – einzige Bedingung für das Betreten: gesittetes Benehmen und angemessene Kleidung. Noch in den 50er-Jahren, so steht es in der Wikipedia, war es daher guter Oldenburger Brauch, den Park nur in Sonntagskleidung zu betreten.

Heute haben sich die Kragenknöpfe etwas gelockert und so lümmelt überall auf den Wiesen das meist junge Volk herum, dass man sich wünschte, man hätte selbst eine Picknickdecke, ein gutes Buch und etwas mehr Zeit mitgebracht.

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Die jahreszeitliche angepasste Beetbepflanzung schließlich sorgt noch für ganz andere Impressionen – Oldenburg bietet hier Monetarismus in Rhein-, Verzeihung, Haarenkultur. Da hat das städtische Tourismusamt mit seinem Spruch vom „begehbaren Gemälde“ einmal nicht übertrieben.

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2014 wird der Schlossgarten 200 Jahre alt und hat sich für das Festprogramm mit seinen Ausstellungen, Führungen, Tierexkursionen, Workshops und Aktionen schon entsprechend herausgeputzt. Eine eigene Webseite gibt es auch dazu: Schlossgarten 2014.

Wer schließlich mutig genug ist und sich im Watschelgang mit ausgestreckter Handykamera den Höckergänsen am Schlossteich hinter dem Elisabeth-Anna-Palais nähert, wird nach kritischer Inaugenscheinnahme durch das weitgehend furchtlose Geflügel schließlich mit Nahaufnahmen belohnt. (By the way: Ganz ordentliche Bildqualität, die das Google Nexus 5 abliefert, oder?)

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Welch angenehmer Ort zum Tulpenbummeln das hier ist. Seit meiner Kindheit bin ich schon nicht mehr in den entlegeneren Ecken des Geländes gewesen. Für mich war der Schlossgarten die positive Osterüberraschung des Jahres – auch wenn ich auf der Fahrt dahin über eine leere Kühlerhaube gucken musste.

Osterüberraschung

Am Ostermontag, beim Besuch der Eltern, kommt unverhofft eine neue Folge der Serie „Dass es sowas noch gibt“:

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Wann ist mir das zuletzt passiert? 1994 in Glasgow? Wer hätte das gedacht: Das beschauliche Oldenburg, Stadt meiner Kindheit, hat mittlerweile echtes Großstadtniveau.

Viel drängender ist allerdings die Frage, wie ich jetzt nach Hause finden soll.