Ein stetiger leichter Wind weht über die Hochbrücke, doch obwohl ich in Shorts und T-Shirt rund 13 Meter über dem Asphalt am Geländer stehe, ist mir nicht kalt. Es ist eine Eigenart dieses seltsamen Sommers, dass sich feuchtkalte und schwülwarme Nächte seit Wochen abwechseln. Heute ist Variante zwei dran.
Es ist spät am Abend, in einer halben Stunde ist Mitternacht. Seit fast zwei Stunden ragt das Teleobjektiv der Sony hier in luftiger Höhe über der Autobahn 544 an der Abfahrt Verlautenheide/Würselen in Blickrichtung Aachener Kreuz durch die Streben des Geländers.
Der Verkehr sorgt für ein beständiges Hintergrundrauschen. Wenn ein schweres Fahrzeug unter mir entlangdonnert, geht ein leicht singendes Zischen durch die Konstruktion. Doch mit der Zeit sind die Momente immer öfter und länger geworden, in denen es schon fast still ist und kein Auto weiße oder rote Streifen durch die Fotos zieht, die meine Kamera geduldig eins nach dem anderen auf ihre Speicherkarte sichert. Eine halbe Minute Belichtung, eine halbe Minute Bearbeitung, dann: Betrachtung. Dann der nächste Versuch, mit etwas anderer Perspektive, einer anderen Blende oder einem nachjustierten Fokus. Man muss schon reichlich Geduld mitbringen, um zu dieser Zeit noch mit der Kamera loszuziehen.
Aber es hat auch seinen ganz eigenen Reiz. Keine Seele ist außer mir hier an diesem einsamen Ort – außer den Menschen in den Autos da unten in der Tiefe. Und die Fotografie bei Nacht ist eine Welt für sich. In fast völliger Dunkelheit auf ein Autobahnschild zu fokussieren, ist viel schwerer, als ich es mir vorgestellt hatte. Und dann hätte ich natürlich auch gerne einen Moment im Bild, in dem auf allen vier Blättern des Kleeblattes Fahrzeuge fahren.
Doch das Glück lässt sich nicht zwingen. Die perfekte Halbminute – ein wenig, aber nicht zu viel Verkehr auf sämtlichen sichtbaren Fahrbahnen – gibt es heute nicht. Dann ist es irgendwann Mitternacht; die Autos fahren jetzt nur noch vereinzelt in immer größer werdenden Abständen. Zeit, das Stativ zusammenzuklappen und nach dem Moorbraunen zu suchen, der dort irgendwo in den Schatten auf mich wartet.
Was an Bildern an diesem Abend entsteht, ist – wie könnte es anders sein – nicht perfekt. Macht nichts, der Sommer ist es auch nicht, und er birgt trotzdem Momente echten Glücksgefühls. Manche finden an einem windigen Brückengeländer hoch über der Autobahn 544 statt. Und ein paar weitere warten bestimmt noch darauf, erlebt zu werden.