Das Bergische Land ist eine schöne Gegend. Das kann ich sagen, weil meine Mutter von daher kommt – mein Vater hat sie gegen Ende der Sechziger in einem unbeobachteten Moment auf den Gepäckträger seines Heinkel-Rollers gebunden und ist mit ihr über den Teutoburger Wald nach Norden geflüchtet (so ähnlich erzählt man es im Familienkreis jedenfalls).
In meinen ach wie glücklichen Jugendjahren habe ich den Landstrich zwischen Wuppertal und Remscheid jedenfalls zwecks Großelternbesuch oft in Augenschein nehmen dürfen – so schöne Ortsnamen wie Schwelm und Radevormwald sind aus der Zeit hängengeblieben.
Jetzt gab es Gelegenheit, nochmal zurückzukommen. Aber nicht auf der Rückbank eines weißen Strichachters. Sondern selbst am Steuer. Beziehungsweise am Lenker: Ein paar Freewindler aus Aachen und Köln luden zu einem kleinen Ausritt.
Wenn das Bergische Land nicht so heißt, weil es dort bergig ist, dann heißt die Burg auf diesem Bild Schloss. Schloss Burg nämlich.
So romantisch wie sie ausschaut, kann man glatt vergessen, dass sie nicht echt ist. Sondern erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus einer Ruine rekonstruiert.
Einige Kilometer weiter, hinter Dörfern mit so schönen Ortsnamen wie Sonne, Stumpf, Habenichts, Dreibäumen, Hinterhufe, Sülze und Enkeln, liegt ein Stück weit von der Landstraße entfernt auf einer – so nennt man das wohl – Anhöhe eine Art Mahnmal.
Zu was es an dieser abgelegenen Stelle mahnen soll, weiß ich nicht. Außer dem Spruch „Gott der Herr segne uns und schütze uns“ stand nichts auf dem schlichten Waschbetonbau, auf dem drei weiße Kreuze hoch in den wolkenlosen Himmel ragten.
Dort wurde ich Zeuge eines bizarren Zwischenfalls. Während wir Zweiradmenschen uns die Beine vertraten, näherte sich noch ein Mercedes-Kombi der Hügelkuppe. Der Fahrer parkte hinter unseren Krädern. Ein wenig schräg zur Straße, die als breiter Teerweg vor dem Mahnmal über die frisch gemähte Wiese führte.
Nach einiger Zeit kam ein roter VW Golf mit einem Rentnerehepaar des Weges. Statt mit einem kleinen Schlenker um das Heck des Mercedes‘ herumzufahren, wie es kurz zuvor noch ein Traktor mit Anhänger getan hatte, wurde der Golf langsamer und hielt schließlich an.
Zuwenig Platz? Und selbst wenn: Das Gelände links und rechts des Teerwegs war flach und frisch gemäht. Trotzdem trat der Mercedesfahrer einen Schritt heran, warf einen Blick auf die Szene und signalisierte dem Golffahrer freundlich: Noch soooo viel Platz, da kommen Sie locker dran vorbei.
Worauf der Rentner die Scheibe herunterfuhr und im Brustton der Rechtschaffenheit aus dem Fenster rief: „Es geht nicht darum, dass ich hier nicht durchfahren kann! Sondern dass das verkehrswidrig ist, was Sie hier machen!“
Verkehrswidriges Halten auf einem Feldweg in der Mitte von Nirgendwo. Der Satz war so absurd, dass es volle ein, zwei Sekunden dauerte, bis das halbe Dutzend Umherstehender in schallendes Gelächter ausbrach. Worauf der empörte Senior nun doch den Schlenker um das Kombiheck machte, Vollgas gab und mit laut quietschenden Reifen von dannen brauste.
Die Laune der Zurückgebliebenen hatte der gute Mann spürbar gehoben. „Dein Motorrad steht da übrigens auch verkehrswidrig“, informierte mich ein Mitfahrer. Der Spruch sollte von da an auf dem Rest der Fahrt bei jeder sich bietenden Gelegenheit wiederholt werden.
Wir bestiegen unsere Rösser. Zum Abschied winkte ich dem Mercedesfahrer drohend mit meiner Kamera zu. „Ich zeig Sie an! Ich hab alles auf Film!“ Er konterte grinsend: „Wir sprechen uns vor Gericht!“
Nicht lange danach folgte der krönende Abschluss der Tour: die Essenspause. Endlich. Ich war schließlich schon um halb Sieben aufgestanden, jetzt meldete sich der Magen.
Ausgeguckt hatten sich die Tourplaner eine der unzähligen Mühlen (Jörgensmühle, Preyersmühle, Mebusmühle, Markusmühle und so weiter). Zu Essen gab es allerdings nichts, wie uns die liebe Bedienung gleich wissen ließ, „da ist gerade ein Riesenreisegruppe gekommen, die Küche ist total überlastet“, aber wenigstens etwas zu gucken:
Den Hückelhovener Altmetallsammelverein zum Beispiel.
Oder dieses Verspielzeug hier, wer’s mag.
Wenn Motorräder Frauen wären, meine kleine Marit wäre trotz ihres norwegischen Namens eine Französin. Schlank, chic, selbstbewusst, mit elegantem bordeauxroten Spaghettiträger-Top, Bubikopf und langen Beinen, etwa 1,75 Meter groß.
Wenn Motorräder Frauen wären, wäre das hier etwas, das von weniger einfühlsamen Menschen als Kampflesbe bezeichnet wird.
So also war’s im Bergischen: Berge, Burgen, Verkehrsüberwacher in zivil und Motorräder im Kostüm. Ich hatte es aus meiner Kinderzeit zwar ein bisschen anders in Erinnerung – aber es war die Reise wert.