Es ist an der Zeit, eines der besten Backwerke zu feiern (um mal eine bis zur völligen Erschöpfung wiederholte Fernsehwerbung etwas zu variieren). Es geht nicht um hauchzarte Blätterteig-Creationen französischer Herkunft oder, im Gegenteil, von belgischer Edelschokolade überzogene und mit Marzipan gefüllte Leckereien im Gigakalorienbereich.
Nein, die Rede ist vom Streuselbrötchen.
Für den Neu-Aachener kommt der Erstkontakt mit diesem flockigen Fröhlichmacher so sicher wie die Frage, ob man schon mal beim Karneval war. Irgendwann liegt da auf dem Teller so ein runder Geselle, der ein Frühstück mit der soliden Selbstverständlichkeit eines Gullideckels abschließen kann. Wenn er auch etwas – etwas! – leichter im Magen liegt.
Die Methoden, die sich auftürmenden gelben Gebirge zu bezwingen, sind vielfältig. Dem Schreiber dieser Zeilen sind Zeitgenossen bekannt, die die krümelige Köstlichkeit aufgeschnitten mit einer dazwischengeschobenen Scheibe Käse genießen – Verwendung findet meist die Spielart „belegen Gouda“ aus einem westlichen EU-Nachbarstaat. Ich selbst ziehe Honig vor, beziehungsweise schmiere ihn dazwischen.
Während mit Zuckerguss überzogene sogenannte „Streuseltaler“ auch außerhalb des Rheinlands anzutreffen sind, ist die pure Streuselvariante eine hiesige Spezialität. Das Streuselbrötchen verzichtet auf Überzug oder Füllung. Wäre es ein Konzern, würde es in Pressemitteilungen behaupten, sich aufs Kerngeschäft zu konzentrieren.
Aber schauen wir doch mal, ob sich der Streusel auch im Internet angemessen wiederfindet. Auf diversen Marketingseiten über Aachen wird er natürlich erwähnt, auch in etwas, öh, skurrilen Blogbeiträgen taucht er auf. Auf Frauenseiten werden fleißig Rezepte getauscht und Aachener am anderen Ende der Welt (Düsseldorf) versuchen verzweifelt, ihn nachzubacken („Ich bin Streuselbrötchen-süchtig und wohne in der Diaspora„). Soweit, so schön.
Weniger ertragreich ist die Suche in der Wikipedia – ein einziger kleiner Satz im Beitrag zu Aachen ist dort zu finden:
„Weiterhin hervorzuheben ist das nach Angaben der Aachener Nachrichten in Aachen erfundene Streuselbrötchen, ein Weichbrötchen mit Butterflocken, das außerhalb von Aachen kaum bekannt ist.“
Das war’s schon? Was ist mit der dramatischen Entstehungsgeschichte, von den unzähligen Versuchen, Rückschlägen, Triumphen und Tragödien der Streuselschaffenden? Wo sind die Nährwerttabellen, wo die Schnittdiagramme, wo ist die Liste mit Erwähnungen des Streuselbrötchens in Literatur, Kunst und Fernsehen?
Aber gucken wir doch mal bei den Bäckern selbst. Sicher werden diejenigen, in deren Händen die Bewahrung des kulturellen Erbes liegt, die Fahne des gelben Gebrösels hochhalten. Und tatsächlich findet sich zum Beispiel auf einer Seite, die für die Gesellenprüfungen im Bäckerhandwerk vorbereitet, eine Beispielsaufgabe: „Nennen Sie Erzeugnisse, die mit folgenden Füllungen hergestellt werden: Schlagsahne (…)“.
Es ist zwar kaum zu glauben, aber die Antwort soll lauten: Streuselbrötchen. „Wie der Name schon sagt, hat es eine Brötchenform, welche aufgeschnitten ist. Dazwischen ist dieses Plundergebäck mit Sahne und Kirschen gefüllt.“
Erschütternd. Generationen von Jungbäckern werden so in die Irre geführt. Was die Alten erschufen, füllen die Jungen mit Kirschen. Kann denn niemand etwas dagegen tun? Führt dieser Verfall der Zivilisation geradewegs an die Theke des Schnellimbisses? Zum McStreusel XXL-Menü mit Karamellfüllung und draufgestreuten Smarties?
Noch ist Zeit. Noch gibt es Streuselbrötchen, die diesen Namen verdienen. Doch wenn nicht bald etwas geschieht, werden unsere Nachfahren nie den unverfälschten Geschmack von Butterflocken auf Hefeteig zwischen den Zähnen spüren. Ob mit Honig oder Käse dazwischen.
Ach, Streuselbrötchen. Jedesmal wenn ich inzwischen fest in Köln lebender ex-Aachener in die Stadt des erhobenen Kleinen Fingers fahre, kaufe ich mir eins. Vielleicht demnächst bald wieder mit meiner Freewind!